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Der exclusive Bibliomane schätzt nur eine bestimmte Gattung von Büchern, ihm liegt wenig an der Seltenheit noch an der Eigenart eines Buches, er hat eine „Collection", das ist sein Gott und sein Ideal. Was ausserhalb dieser Collection ist, interessirt ihn nicht, aber für seine Collection scheut er keine Mühe der Nachforschung und keine Kosten der Erwerbung.

Der exclusive Bibliomane opfert bereitwilligst seine Zeit, sein Geld und seine Gesundheit für die Anhäufung einer möglicherweise seltsamen Bibliothek, die aber stets eine ganz monotone bleiben wird. Er besitzt z. B. 1200 verschiedene Ausgaben von Petrarca, oder von Voltaire hat er nach und nach 10 000 verschiedene Schriften in allen möglichen Ausgaben zusammengebracht, oder die französische Revolution liegt friedlich begraben in einem wahren Kirchhofe von werthlosem litterarischen Wissen aller Art, die solch ein Bibliomane in Jahrzehnten seines Lebens sammelte.

Ueber die Art und Weise, wie diese Leute ihre Bücher suchen und zu finden wissen, liesse sich viel sagen, jeder ,,Specialsammler" hat seinen Anekdotenschatz von Bücherschicksalen, wie der Jägersmann seine Jagdanekdoten. Denn wenn einmal die Seltenheit eines Buches bekannt geworden ist, so ist kein Ende bei dem Wettrennen nach dem Erwerbe desselben abzusehen.

Die Narrheit beginnt vollends, wenn zwei oder drei Nationen sich zur Jagd auf ein seltenes Buch von besonderem Special-Interesse rüsten; dann erwacht unter den Reichen des Landes neben der Bibliomanie der Nationalstolz, es wird zur Ehrensache, Sieger im Bieten zu bleiben; der Werth des Buches kommt dann mitunter weniger in Betracht, es fragt sich mehr, wer es am längsten im Bieten aushalten kann.

Welche Absurditäten bei den Büchernarren mitunter vorkommen, davon hier ein Beispiel.*) Es hatte Einer drei

*) Fertiault, les amoureux du livre. Paris 1877. 8.

Jahre hindurch täglich acht Stunden angestrengt gearbeitet, um herauszubekommen, dass die Bibel enthält:

66 Bücher, 1189 Kapitel,

31 173 Verse,

773 656 Worte,

3566 560 Buchstaben,

6 855 mal das Wort „Jehovah",

46 227 mal das Wort „und“ u. s. w.

und wozu? lediglich aus litterarischem Ehrgeiz, um etwas zu leisten, was bis dahin noch kein Anderer fertig gebracht, um von sich reden zu machen!

Mit einem Worte, die Bibliomanie, die erhabenste wie die kostbarste, ist eine Manie, die stets mit mehr oder weniger Narrheit verbunden ist. Solange es bei der persönlichen Narrheit bleibt, solange der Bibliomane nur sich selbst schädigt, mag ihn auch die menschliche Gesellschaft sich selbst überlassen. Aber es giebt auch Bibliomanen, die von ihrer Leidenschaft derartig verblendet sind, dass sie zum Verbrecher, und als solche für ihre Mitmenschen gemeingefährlich werden; man denke an den Prediger Tinius in Poserna, der im Anfang dieses Jahrhunderts aus Bücherliebhaberei zum Raubmörder wurde; seine Bibliothek wurde am 5. November 1821 in Leipzig versteigert. Und wie gross ist die Zunft der Büchermarder, die aus reiner Liebhaberei zum Diebe werden und Bücher stehlen, wo sich ihnen die Gelegenheit dazu bietet. So wurde dem Dr. Alois Pichler im Jahre 1861 der Prozess in Petersburg gemacht, weil er die Kaiserliche öffentliche Bibliothek in schmählichster Weise bestohlen hatte; und ebenso dem Professor Lindner in Leipzig im Jahre 1860, der es dort ebenso getrieben.

Und von dieser Manie des Bücherstehlens werden nicht nur Männer, sondern auch Frauen ergriffen, und es liessen sich viele Beispiele davon anführen, mit welchem Aufwande von raffinirter Schlauheit diese unglücklichen Menschen ihrem

Laster fröhnen, dass ihnen keinen anderen Vortheil oder Genuss verschafft, als den heimlichen Besitz eines Buches, das sie nicht einmal weiter verwerthen können, ohne sich der Entdeckung und Bestrafung auszusetzen. Wunderbarer Weise leben diese Bücherdiebe meistens in den besten Verhältnissen, aber gerade der Umstand, dass sie ein begehrtes Buch auf ehrliche Weise nicht erwerben können, reizt sie zum Verbrechen. Doch diese Verirrungen liegen auf einem anderen Gebiete als dem, womit wir uns hier beschäftigen wollen und ich verlasse deshalb diese Nachtseite der Bücherliebhaberei.

Bücherliebhaberei in England.")

England ist das Eldorado der Bibliophilen und Bibliomanen,

doch sind diese nur unter den „oberen Zehntausend" zu suchen und zu finden. Im Allgemeinen hat der Engländer wenig Neigung Bücher zu kaufen; wenn der gut situirte Kaufmann, oder der reiche Fabrikant zur Weihnachtszeit, oder bei Gelegenheit eines Geburtstages einige Pfund Sterling für Bücher ausgiebt, so gewinnt er dadurch die Ueberzeugung, Schutzpatron der Litteratur geworden zu sein. Es dürften nicht viele Leute drüben existiren, die bei einem jährlichen Einkommen von 1000 Pfund monatlich 1 Pfund für Bücher ausgeben. Die Bibliotheken der begüterten Mittelklassen legen unter hundert Fällen neunundneunzig Mal ein trauriges Zeugniss von der Intelligenz ihrer Besitzer ab; sind wirklich ein paar Bände darunter, die den Namen Buch verdienen, so ist das oft nur ein glücklicher Zufall. Die Hefte des ,,Sunday at home", der „Leisure hour", von ,,Cassell's Magazine" und vielleicht noch ein paar andere Monatsschriften werden zwölf Monate hindurch sorgfältig gesammelt, oft gar nicht aufgeschnitten und gelesen, und dann am Ende des Jahres eingebunden; mit solchem Lesefutter ist der Bücherschrank des wohlhabenden Engländers meistens gefüllt. Mark Pattison

*) Vergl. W. Roberts, The Book-hunter in London. London 1895. 8. und W. Roberts, Rare books and their prices. London 1895. 8.

Die Bücherliebhaberei.

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geht so weit, zu behaupten, dass, obgleich der allgemeine Wohlstand in England so und so viel mal grösser geworden, der Kreis der Bücherkäufer und der Bücherliebhaber nicht grösser als früher, wenn nicht gar kleiner geworden sei. Man könnte einwenden, dass Jemand mit 1000 Pfund jährlichen Einkommen davon gewöhnlich 100 Pfund für Miethe auszugeben hat, und dass derartige Wohnungen den Luxus eines besonderen Bibliothekzimmers nicht gewähren. Das mag wahr sein, diese Thatsache ist aber keine Entschuldigung, denn ein Bücherregal von 13 zu 10 Fuss an der Wand kann nahezu eintausend Bände in Octav fassen und man kann schon in einhundert Bänden den Geist der Welt in seinen respectabelsten Leistungen bei sich aufspeichern. Ein Amerikaner giebt seinen Lesern den Rath: „Erwirb alle Bücher, die Du erreichen kannst, gebrauche alle Bücher, die Du besitzest und noch viel mehr, als Du besitzen kannst."

Der Rath ist gut, wenn man bedenkt, dass die grosse Mehrzahl berühmter Büchersammler ein hohes Alter erreicht hat; die Bücher als Lebensgefährten sind der beste Schutz gegen die Stürme des Lebens, und ihr Studium ist die beste Medicin für die Verlängerung des Lebens. Deshalb sammle man Bücher!

In England gab Warton in seiner „History of English poetry" vor etwa 120 Jahren, und Joseph Ames in seinen 1749 erschienenen „Typographical Antiquities" die erste Anregung dazu, seltene Bücher zu sammeln. In jener Zeit hat die moderne Art des Büchersammelns aus Liebhaberei begonnen, wie sie Männer von Rang und Vermögen und intelligente Buchhändler ausübten, Männer wie James Watt, Topham Beauclerk, Major Pearson, der Herzog von Roxburghe, David Garrik, Georg Steevens, der Reverend Jonathan Boucher u. A., die sich in England als Bibliophilen hervorgethan haben, Alle überragt von dem unvergleichlichen Richard Heber, (geb. 1773, gest. 1833) der nicht nur ein Sammler ersten Ranges, sondern auch ein tüchtiger Gelehrter war, der die von ihm gekauften Bücher auch las, ein Mann, der in den Jahren

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