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Bücherliebhaberei in Frankreich.*)

ie achtungswerthe, geschmackvolle Bibliophilie ist so recht in Frankreich heimisch. Kein Land hat so viele tüchtige Bücherkenner und Sammler gehabt als Frankreich, kein anderes Land hat eine so reiche Litteratur über die Bibliophilie und die Liebhaber-Bibliographie aufzuweisen, und kein Land kann dem berühmten Jaques-Charles Brunet einen ebenbürtigen Mann gegenüberstellen. Ich habe schon in den früheren Capiteln fortwährend auf Frankreich zu verweisen gehabt, denn wenn auch das Verdienst der Erfindung und der ersten Entwickelung der Typographie Deutschland gebührt, so sind wir doch in der Verwerthung der älteren Litteratur auf dem Büchermarkte seit mehr als zweihundert Jahren von unseren Nachbarn weit überholt, und Erscheinungen in der Würdigung seltener litterarischer Kostbarkeiten, wie sie dort alltäglich vorkommen, sind bei uns völlig unbekannt.

Wie der Werth seltener Bücher ganz allgemein in unserem Jahrhundert enorm gestiegen, haben wir aus dem Vorhergesagten überall gesehen, und die Ursachen davon sind leicht zu erkennen; die Zahl der reichen Bücherliebhaber hat sich verdoppelt und verdreifacht, die Zahl der seltenen alten Bücher aber, wie sie vor etwa 150 Jahren schon bekannt waren, hat sich eher verringert, als vermehrt, denn es ist genau bekannt,

*) Vergl. M. G. Brunet, du prix des livres rares, Bordeaux 1895. 8.

in welchen öffentlichen Bibliotheken und Archiven eine grosse Anzahl derselben nach und nach ein Asyl gefunden haben, aus dem sie schwerlich jemals wieder in den Handel gelangen werden. Auch übt die Mode, und gerade in Frankreich, ebenso auf Bücher ihren Einfluss aus, wie auf den weiblichen Putz, sie steigert vorübergehend den Preis ganzer Büchergattungen, und drückt ihn ebenso herab; die Elzevier-Ausgaben haben, wie Werthpapiere, Zeiten der Hausse und der Baisse gehabt; die ersten Ausgaben der alten Classiker waren früher sehr beliebt, während man damals eine Gattung von Büchern verschmähte, die von unserem Zeitalter sehr bevorzugt wird, die illustrirten Werke des achtzehnten Jahrhunderts. Man legt in Frankreich gerade diesen Büchern, mit Zeichnungen von Künstlern wie Eisen, Marillier und namentlich Moreau dem jüngern einen so hohen Werth bei, dass besondere beschreibende Kataloge darüber erschienen sind.*)

Der Geschmack der Bücherliebhaber ist in Frankreich in den letzten hundert Jahren mehr als in anderen Ländern grossen Veränderungen unterworfen gewesen; zeitweise hat man sich z. B. mit besonderer Vorliebe mit dem heiligen Lande und den Pilgerfahrten dorthin beschäftigt; dann wieder waren vorübergehend die Werke der die römische Kirche bekämpfenden Reformatoren sehr gesucht, die in Deutschland und der Schweiz gedruckten Schriften Luther's, Calvin's u. A. In neuerer Zeit sind auch die Originalausgaben der französichen Romantiker seit 1830 sehr begehrt, es hat z. B. die erste Ausgabe des Romans von Théophile Gautier „Mademoiselle de Maupin" einen Preis von Fr. 1600,- erzielt. Neben diesen mehr oder weniger individuellen Neigungen behauptet sich in Frankreich ziemlich constant eine Vorliebe für die ersten Ausgaben der französischen Classiker des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, besonders aber werden die älteren illustrirten Werke gesucht.

*) T. F. Mahérault, Catalogue raisonné et descriptif des ouvrages de Moreau le jeune, avec notes iconographiques et bibliographiques. Paris 1880. 8.

So giebt es eine Liedersammlung, die ein Generalpächter in Paris in vier Bänden im Jahre 1772 veranstaltet, und von den beliebtesten Künstlern der damaligen Zeit hat illustriren lassen, Moreau z. B. lieferte 25 Kupferstiche dazu. Die Poesie des Werkes ist ganz werthlos, aber sie wird auch nicht von den Bibliophilen bezahlt, sondern die Illustrationen; man konnte das Werk vor 50 Jahren noch für Fr. 60,- haben, heute werden Fr. 2000,- und mehr dafür bezahlt. Ein anderes Buch, allerdings ein Unicum, die „Chansons de la Borde", mit den Originalzeichnungen Moreau's erzielte auf der RadziwillAuction Fr. 7050,-.

Von den „Contes de Lafontaine" giebt es eine Aussgabe, 2 Bände Octav-Format, im Jahre 1762 in Paris unter dem maskirten Verlagsort Amsterdam gedruckt, und zwar unter dem Protectorat der Madame de Pompadour. Das der schönen Marquise angebotene Handexemplar, wozu Eisen Illustrationen geliefert hatte, vereinigte in sich alle erdenklichen Vorzüge der Ausstattung. Nachdem es durch verschiedene, nicht mehr nachweisbare Hände gegangen, tauchte es 1844 zuerst öffentlich bei der Versteigerung der Bibliothek des Akademikers Charles Nodier auf, wir finden es dort mit dem Spottpreise von Fr. 355,notirt. Aber das Buch bewährte bald glänzend den ihm vorangegangenen Ruf einer hohen Seltenheit, nachdem es in dem Katalog eines grossen Pariser Antiquars mit Fr. 7000,- angesetzt gewesen, ist es schliesslich vor Kurzem in den Besitz eines enthusiastischen Sammlers, des Herrn Beraldi, übergegangen, der ohne Zaudern Fr. 15 000,- dafür bezahlte.

Unter den Classikern des sechzehnten Jahrhunderts haben die Originalausgaben von Molière die grösste Zugkraft; wem es gelingt, eine der ersten Ausgaben der Komödien des unsterblichen Franzosen für Fr. 1500,- zu erhalten, der kann sich glücklich schätzen, und die ersten Gesammtausgaben seiner Werke nehmen unter den Seltenheiten eines französischen bibliographischen Feinschmeckers den ersten Rang ein. So brachten Molière oeuvres, Ausgabe in 7 Bänden, Paris 1673, Duodez-Format, in der Auction Lignerolles (1894)

Fr. 16 200,-, und die Ausgabe der oeuvres, avec des remarques par Bret," Paris 1773, 7 vls., Quart-Format, mit 33 Abbildungen von Moreau, Abzüge von der Schrift in Aetzmanier auf derselben Auction Fr. 22 100,-. Die Originalausgaben von Molière's Theaterstücken, früher ganz vernachlässigt, sind durch den Bibliophilen de Soleinne in Paris in Aufnahme gekommen; er war der Erste, der mit grosser Mühe eine vollständige Sammlung derselben zusammengebracht hatte, an der nur ein Stück fehlte (Les Fourberies de Scapin). Bei der Versteigerung seines Nachlasses (1843) ging diese Sammlung für Fr. 747,— fort, eine lächerlich kleine Summe, wenn man damit die heutigen Preise der einzelnen Stücke vergleicht, z. B. Les Précieuses ridicules, Paris 1660 (Auction Lignerolles 1894), Fr. 2000,―; Sganarelle, Paris 1660, in derselben Auction, Fr. 2550,-. Ihm beinahe gleich gilt Corneille, seine Ausgaben in Folio und Duodez, die man vor 150 Jahren kaum ansah, bilden heute ein Streitobject bei allen Auctionen. Racine kommt erst in dritter Reihe, wird aber immer noch hoch geschätzt.

Als ein Beispiel verirrter Geschmacksrichtung aus der damaligen Zeit möchte ich ein Buch erwähnen, das inzwischen den Ruf eines Unicum allerersten Ranges erlangt hat. Der Generalpächter de la Popelinière, ein bekannter Verleger aus der Zeit Ludwigs XV., hatte ein Buch „Tableaux des moeurs du temps" in einem einzigen Exemplare drucken lassen, das die wenig verschleierten Episoden eines abenteuerlichen Lebens erzählt und in dem die beigefügten, ebensowenig verschleierten Aquarellbilder mit dem Texte harmoniren. Die skrupulösen Erben waren nach dem Tode des Generalpächters auf dem Punkte, das Buch zu vernichten, der König aber, der davon gehört hatte, verhinderte dies und erwarb es für sich.

Nach verschiedenen Wanderungen, die sich nicht mehr verfolgen lassen, gelangten die Tableaux in die Bibliothek des Fürsten Galitzin in Moskau, kamen von da wieder nach Paris zurück, und darauf in den Besitz eines reichen englischen

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Sammlers Frederic Hankey, beiläufig bemerkt Sohn eines englischen Gouverneurs der ionischen Inseln und Offizier bei den Horse Guards der Königin von England. Dieser hatte ausschliesslich Seltenheiten eines Genres zusammengebracht, die aus Sittlichkeitsrücksichten öffentlich nicht versteigert werden konnten, und in dieser Sammlung nahmen die Tableaux des moeurs du temps" einen Ehrenplatz ein; die Bücher wurden nach seinem Tode durch freihändigen Verkauf sehr zerstreut, und die ,,Tableaux" tauchten erst im Jahre 1894 bei der Versteigerung der Bibliothek eines Bibliophilen wieder auf, der sich bei Lebzeiten den Namen „Le Toqué“ (der Verrückte) beigelegt hatte. Man war auf einen erbitterten Kampf um die „Tableaux" gefasst, es wurde von Fr. 50 000,- gesprochen, die ein Liebhaber daransetzen wollte, indessen habent sua fata libelli - bei dem nicht gerade sehr lebhaften Wettbieten erfolgte der Zuschlag für Fr. 25 000,-Das Buch ist durch Recensionen verschiedener Bibliographen, wie Charles Monselet, G. Brunet u. A. bekannt geworden, auch ist es durch einen Neudruck, 2 Bände kleines QuartFormat, reproducirt, aber dieser Neudruck kann doch das Unicum nicht ersetzen, das für alle Zeiten eine der kostbarsten Seltenheiten der Bibliophilie bleiben wird.

Noch ein anderes berühmtes Buch des vorigen Jahrhunderts sei erwähnt, das durch Eigenschaften ganz entgegengesetzter Art bekannt geworden ist, das „Office de la Semaine Sainte" par l'Abbé de Bellegarde, Paris 1732. 8. „à l'usage de la maison du Roi“ ein Exemplar in roth Saffian eingebunden, der Fürstin de Lamballe dedicirt, mit einer Widmung des Königs, einem Autograph der Marie Antoinette, einigen Zeilen der Maria Theresia, einem Briefe der Marie Antoinette und einigen Zeilen Ludwig's XVI. Dieses Buch ist in der Auction Lignerolles (1874) für Fr. 30 000,- fortgegangen.

Zur Erklärung dieses exorbitanten Preises ist darauf hinzuweisen, dass in Frankreich unter den Royalisten ein kleiner Kreis von Bibliophilen existirt, der mit Allem, was sich auf

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