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Organon

der

Erkenntniß der Natur und des

Geistes.

Von

Carl Gustav Carus.

eLeipzig:
F. A. Brockhaus.

1856.

Phil333,1/861, gave. I

Goby Fund. $81.20

Vorrede.

Wir leben in einer seltsamen Zeit, einer Zeit, welche durch das Sichhäufen unendlicher artificieller Bedürfnisse ebenso sich auszeichnet, als durch das in gleichem Maße Nachwachsen der Fülle industrieller Ergebnisse, und wenn man mit Recht sagen darf, daß dadurch im Leben vielfältig die Menschheit mehr auf ihre äußern als innern tiefern Interessen geworfen worden ist, so kann man andererseits nicht verkennen, daß zugleich dadurch auch in der Wissenschaft viele ähnliche Verschiebungen Plaß gegriffen haben. Wenn daher noch vor einem halben Jahrhundert E. Platner im höhern Grade berechtigt war, zu sagen: „Vorausseßen möchte man, daß der Mensch lebe in stets wachsendem Kummer um das Räthsel der Welt und des mensch

lichen Daseins", so hat dagegen das Interesse der Jeßtwelt großentheils von diesen höchsten Aufgaben ganz und gar sich abgewendet, und, entweder weil tausendfältig Anderes näher liegend geglaubt wurde als diese leßten Ziele des menschlichen Denkens, oder vielleicht hier und da auch aus einer gewissen Verzweifelung, weil man sich dem Gedanken hingab, daß auf alle solche Fragen nun einmal keine Antwort möglich sei, hat man dieselben zuleßt entweder gänzlich fallen lassen oder sie so oberflächlich und willkürlich beantwortet, daß die seltsamsten Widersprüche gerade da hervortreten mußten, wo man eben die höchste Einheit hätte erwarten und wünschen sollen.

In Wahrheit, man traut zuweilen seinen Augen kaum, wenn man lesen muß, bis zu welchen Zerwürfnissen selbst unter Männern der Wissenschaft es in Auffassung von Fragen gekommen ist, über welche man zur Ehre des menschlichen Geistes erwarten möchte, daß Spaltungen nicht mehr möglich sein sollten. Denn ist nicht das Nächste, was uns jedenfalls klar sein müßte, das Wissen von einer uns umgebenden Welt überhaupt? ist Das, was wir unsere Sinnesauffassung nennen, das wirkliche Bild von dieser

Welt, oder ist es das nicht? Erreichen wir mit unserm Fühlen und Begreifen die Dinge an sich, oder ist Alles, was wir darüber uns vorstellen, nur die täuschende Spiegelung unsers Innern? Und endlich: wenn in diesem Empfinden und Vorstellen irgend eine Wahrheit besteht, ist nun in diesem sinnlichen Wahrnehmen die alleinige Wahrheit gegeben, oder haben wir das Recht, hinter diesem Sinnlichen ein Uebersinnliches anzuerkennen und festzuhalten, oder haben wir es nicht?

Gewiß! welchen Werth könnte eigentlich das Leben des Menschen überhaupt haben, wenn es absolut unmöglich wäre, über Aufgaben dieser Art zu irgend einer Sicherheit und Klarheit zu gelangen!

Aber erkennen wir es nur an! es steht schlimm mit allen diesen Erkenntnissen in unserer Deffentlichkeit! Wir haben noch kürzlich Schriften lesen müssen, in denen das durchaus Nichtvorhandensein alles Dessen, was nicht unmittelbar durch die Sinne uns dargeboten wird, behauptet wurde, ja in welchen, blos deshalb, damit alles Fragen nach einer Ur-Sache vollkommen abgeschnitten würde, zu Ehren dieser Sinne, die an sich doch unsinnige Behauptung aufgestellt worden ist, es gebe für uns überhaupt

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