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wird erwogen, wie die Einbildungskraft zu derfelben durch alle Sinne angeregt wird. Aber der Vf. entfernt fich faft zu fehr von feinem Gegenstande bey Berührung des Geruchs, deffen Beziehung auf die Vergangenheit unbestimmter und allgemeiner ift. ,, Den Geruch hat die Sprache faft aller Nationen fehr vernachläffigt, "und, überhaupt würde vielleicht diefer Sinn einen gröfsern Werth für uns erhalten, wenn die Sprache reicher an genaubezeichnenden Wörtern für feine unendlich mannichfaltigen Eindrücke wäre." Aber follte nicht im Gegentheil der verhältnifsmässige Mangel an Bezeichnungen der Verschiedenheiten in der Geruchsempfindung in faft al. len Sprachen die nothwendige Folge der verhältnifs mälsigen Armuth und Unbeftimmtheit diefes Sinns überhaupt und in Beziehung auf die Erkenntnifs feyn? Von der Lebhaftigkeit und Beftimmtheit der erften Eindrücke fagt der Vf. zu allgemein: der Grundrifs des Geburtsortes, wo man die ersten Jahre verlebte, ift rein und vollständig in der Phantafie niedergelegt, und erhält fich darin, wenn der eines Orts, wo man in fpäteren Jahren vielleicht eben fo lange lebte, fich wieder verwischt hatte. Diefs würde dem angeführten Affociationsgesetze der Zeitfolge offenbar widerfprechen, vermoge deffen wir uns das Nächftvergangene am lebhafteften in der Erinnerung vergegenwärtigen. Aber hier ift die Stärke und Tiefe des Eindrucks zu berücklichtigen. Ebenfo ift auch die im folgenden Satze ausgefprochene Erfahrung nicht beftimmt genug ausgedrückt:,, dafs die Bilder von Perfonen und andern Gefichtsgegenständen deutlicher erfcheinen, wenn wir von ihnen entfernt find, als wenn wir bey ihnen bleiben." Denn man verfuché nur wirklich eine Perfon mit welcher man täglich umgeht, fich unmittelbar nachdem man fie gefehen, vorzustellen, und man wird finden, dafs bey gleichem Intereffe der Perfon für uns dief's Bild bestimmter, als das des Längftentfernten ift. Nur ftellen wir uns diejenigen, mit welchen wir täglich und ftündlich umgehen in der Regel mit weniger Sammlung vor, und überlaffen uns vielmehr ihrem unmittelbaren Anfchaun und dem unmittelbaren Eindrucke, den diefs auf uns wirkt. Ueberhaupt wird diefe fo wie manche andere den Pfychologen intereffante Bemerkung über die Wirkfamkeit der Einbildungs- und Erinnerungskraft, welche hier vorkommt, doch nicht genug durch den Zweck der Rede bedingt; die daher auch mehr den Ton und Charakter einer pfychologischen Abhandlung, als den einer eigentlichen Rede annimmt; obgleich wieder Stellen vorkommen, wie folgende: Nur wenn das äufsere Auge. fich schlielst, öffnet fich das innere; nur wenn das Augenlied die Dekorationen der Gegenwart verbirgt, rollt der Vorhang von dem Theater der Vergangenheit auf. In der Stille der Nacht, in der Abgefchiedenheit des einfamen Zimmers, wo keine Reize von aufsen auf Auge und Ohr wirken, erfcheinen die reizenden Phantome am liebften. In diefer phyfifchen Hinlicht ift allerdings die MitterNur den abgefchiedenen

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nacht die Geisterstunde.

Geist besuchen die abgefchiedenen Geilter u. f. w.

und: In wie mancher männlichen Bruft würden wir diefen Silberblick der Empfindung fehen, wenn fie fich vor uns aufthäte! aber die rauhe narbigte Rinde des Eichbaumes verbirgt die zarte Hamadryade, die ihn bewohnt, was an diefer Stelle etwas poetisch-affectirt klingt.

Hierauf kommt der Vf. erft auf den eigenthümlichen Genuß jener Erinnerung. In den Erinnerungen des früheren Lebens findet der Trieb nach Ideenbefchäftigung (geiftiger Thätigkeit, befonders der, welche auf der Einbildungskraft beruht), ferner das Intereffe des Herzens, oder das Verlangen nach Liebe feine Befriedigung. Uns dünkt der letztere Grund müffe dem erftern, als dem weit allgemeinern vorgeftellt und überhaupt das meifte Gewicht auf die Sorglofigkeit und Unfchuld des kindlichen Alters gelegt werden, wobey nicht zu überfehen ift dafs die Erinnerung an die Kindheit um fo mehr Reiz gewinnt, je mehr eine befchränkte, unfern Wünschen nicht angemeffene Gegenwart mit einer fröhlichen und heîter verlebten Kindheit contraflirt. Uebrigens deutet der Vf. hier überall nur an, und fchliefst fehr zweckmässig mit dem moralifchen Werth, welchen diefe Erinnerungen haben. Die zweyte Rede beym Anfange des Ofterexamens 1801 gehalten giebt einen intereffanten Bericht von dem Zuftande der Schule zu Deffau. Der Vf. drückt im Eingange den Wunsch aus, die Aeltern und Angehörigen der Schüler, möch ten zuweilen den gewöhnlichen Lehrftunden beywohnen und Zeugen der Bemühungen des Lehrers, fo wie der Schüler feyn. Die Vermuthung eines fremden Befuchs würde fie in einer gewiffen Achtfamkeit auf fich felbft erhalten, welche für Ton und Difciplin der Schule nicht anders, als vortheilhaft wirken könne. Auch würde diefs Mittheilungen zwifchen Aeltern und Lehrern veranlaffen, durch welche Familienerziehung und Schulzucht mit einander in engere Beziehung gebracht werden könnten. Wir möchten ausrufen: hört ihn und können uns kaum enthalten, was der Vf. über die Unticherheit aus öffentlichen Prüfungen über eine Lehranftalt zu urtheilen, S. 23 beyfügt, mitzutheilen. Das folgende enthält zugleich einige gefchichtliche Nachrichten über die innere und äufsere Einrichtung der trefflichen Lehranstalt, welcher der Vf. vorsteht. Sie enthält in zwey Hauptabe theilungen eine Bürgerfchule und eine Gelehrten fchule, wovon jene aus 6 diefe aus 2 Klaffen befteht, ,, Der Unterricht in der Hauptfchule ift vollständig, er geht von ABC bis zur Univerfität. Ein Knabe der in Septima aufgenommen wird, braucht gar keir ne Vorkenntnifs mitzubringen. Es ift uns fogar lie ber, wenn er vorher gar nicht im Buchitabiren u. f. wp unterrichtet ift." S. 36-49. Angabe des Schulfy ftems, Verzeichnifs der Befchäftigungen der Klaffen, des dabey beobachteten Unterrichts, und Einiges über die Difciplin. Endlich Wünsche betreffend; wählen gewiffer Stunden u. f. w. und andere überall ge hörte Klagen. Die dritte Rede beym Schluffe des Ofterexamens 1804 gehalten, handelt vom Einfluffe der Religion auf Erziehung. Der Vf. erkennt jenen Unter

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fchied an, und fragt vielmehr: was mufs die Erziehung in Anfehung der Religion thun. Dabey zeigt fich fogleich wieder der Mathematiker S.63 wo gelagt wird, dafs faft nur in den rein mathematischen Unterfuchungen der Freund der Wahrheit zu Tage arbeiten könne.' Wie fehr musste der Vf. durch diefe Aeufserung alle diejenigen unter feinen Zuhörern niederfchlagen, welche nicht Mathematiker waren, d. h. die meiften. Ueberhaupt dünkt uns die skeptische Weise nicht die angemeffenste, um in ihr zu einer gemifchten Verfammlung zufprechen. - Der Vf. ftellt nun Loske's und Rousseau's verfchiedene Meinungen einander entgegen, und vertheidigt den frühern Religionsunterricht gegen letztern, wodurch die Rede den Ton einer dialogifchen Beurtheilung annimmt. Obwohl nun der Vf. fast durchaus Recht hat, in dem was er vorträgt, fo hat er fich doch diese Vertheidigung dadurch ein wenig leicht gemacht, dafs er blofs von den Hauptfätzen der fogenannten natürlichen Religion spricht, das Pofitive aber bey Seite läfst. Zuletzt wünscht der Vf., damit der Religionsunterricht recht wirksam werde, eigene Religionsverfammlungen für die Jugend. - Die vierte Rede beym Schluffe des Ofterexamens 1808 handelt von dem Stande des Schulmanns, und ftellt das Leben des Schulmanns von feiner günftigen Seite dar. Nur bezweifeln wir, dafs der Schulmann mehr wie irgend einer Veranlaffung habe in der Cultur feines Geiftes nicht zurückzubleiben, da die Erfahrungen von Schulmännern, die hinter den Fortfchritten der Zeit zurückgeblieben, fo häufig find. In der Frage:,,wer hat denn auch, als er, (wie) das fchöne Bewufstfeyn der Pflichterfüllung?" ift der Ausdruck übertrieben; fo wie der Ausruf: Wer hat mehr, als der Schulmann Gelegenheit fich die fchöne Tugend der Geduld zu erwerben u.f.w! faft ironisch klingt. Der Schlufs, welcher eine Anrede an den Valedicirenden enthält ift rafch, aber wirkfam. Die fünfte Rede wurde zur Feyer des Regierungsjubiläums des Herzogs von Deffau den 22. Oct. 1818 gehalten. Sie ist voll Wärme, Erhebung, und in der Form höchft angemeffen, und was der Vf. von dem Glück der langen Regierung eines guten Fürften S. 111 so schön fagt, haben auch die Unterthanen des Königreichs Sachfens tief gefühlt und als wahr befunden, wiewohl es Rec. nicht gerade zweckmässig findet, dafs der Vf. dabey auch der Gewöhnung an eine leblose Sache gedenkt. Sehr glücklich aber kommen diefer Rede die vergleichenden Erinnerungen an die Verhältniffe der Weltkörper zu Staften. Hinzugefügt find cinige den Gegenstand der Feyer betreffende GedichDie fechste Rede bey der 25ften Jahresfeyer der Hauptfchule den 28. September 1810 handelt von dem gegenseitigen Vertrauen, wodurch eine Lehranstalt erhalten wird, und wie fich diefes äussern müffe; und ift ein willkommner Nach. trag zur zweyten und vierten. Als zwey Haupthinderniffe werden angeführt: Parteylichkeit und Unbekanntschaft. Alles diefes ift zu verstehen von dem Verhältniffe der Schule zur Familie; und es wird fehr gut gezeigt, durch welche Mittel diefelben zum

te.

Vortheile der Erziehung entfernt werden können. Alles fehr verständig und auf mässigen Foderungen gegründet. Von S. 148 wendet fich der Vf. auf die Veranlaffung des Feftes und giebt einige gefchichtli che Nachrichten über feine Schule. - In der fieberten Rede bey der Feyer des dritten Jubelfeftes der Reformation, gehalten am 1. Nov. 1817, findet der Vf. Veranlaffung das wehmüthige Andenken an den hingegangenen Landesfürften mit Luthers Feyer in Verbindung zu fetzen. Darauf handelt der Vf. von dem frühern Zuftande der Schulen in Deutfchland; wobey Erasmus Einfluss und Vorgang nicht unberührt bleiben durfte, und redet dann von Luthers Bemü hungen um die Verbefferung des Schulwefens und der Univerfitäten, wobey der fchöne Gedanke Lu thers ftatt des Chaos römifcher Rechte ein „,Kaiferlich Gemeinrecht" einzuführen und auf den Univerfitäten zu lehren, in Erinnerung gebracht wird, den wir in keiner der Schriften, welche die Reforma tionsjubelfeyer veranlasst hat, erwähnt gefunden haben. Endlich werden auch die Lehrgegenstände angeführt, welche durch Luther und Melanchthon in dem Schulplan festgesetzt wurden, und Luthers Verdienfte um die Sprache nicht übergangen. - Die achte Rede handelt von dem Einfluffe der Aftronomie auf das Gemüth, ist sehr kurz und scheint etwas eilig gefchrieben worden zu feyn. Manche Vermuthung wird hier als Refultat der Aftronomie ausgefprochen, und Rec. gefteht, dafs ihn der Vf. gerade hier, obwohl derfelbe in feinem Fache zu feyn schien, am allerwenigften befriedigt hat, da er, wie mehrere fernes Fachs den Gedanken geftaltlofer Unendlichkeit, und das faft unbehagliche Gefühl welches die durch Vergleichung ins Unendliche getriebene Größe err regt, abfichtlich zu erwecken bemüht ift, was bey der wahrhaft lebendigen Anschauung der Himmelskörper, in das Gefühl des Lebens übergeht das durch die Welt ergoffen ift. Und fo könnte man vielleicht die Betrachtung des Himmels an die Stelle der Aftronomit im Thema fetzen; im Thema fetzen; ein Beweis, dass der Vf. feinen Gegenstand nicht fcharf genug fafste. Sollten fo viele Wahrheiten als Objecte höherer Erkenntnifs todt da liegen, ohne dafs auch Subjecte wären, die fie erkennen foll wohl heifsen: follten fo viele Gegenstände unerkennbar feyn, denn die Wahrheit exiftirt nur in der Erkenntnifs. exiftirt nur in der Erkenntnifs. Weit gründlicher ift die als Anhang heygefügte Einladungsfchrift zum öffentlichen Examen, welche über Kalenderformen und Reformen handelt. Auch der Vf. wünscht, dafs das Ofterfeft als ein unbewegliches festgesetzt werden möchte mit Recht. Bey einer Reform des Kalenders, meint er, fey vorzüglich zu beachten 1) die Epoche, 2) der Anfangspunct des Jahres, 3) die Einschaltungs form, 4) die Eintheilung des Jahres. Diefe Stücke werden genau durchgegangen. Der Vf. hängt eine Kalendertafel zur leichtern Selbstverfertigung des Ka lenders an, und bestimmt am Schluffe deren Gebrauch. Und fo wird jeder Lefer gestehen müssen, dass diese Sammlung viel Lehrreiches und Nützliches enthalte.

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ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

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STAATSWISSENSCHAFTEN.

März 182 0.

BERLIN, b. Duncker u. Humblot: Ueber die Staatswiffenfchaft. Von Friedrich Ancillon. 1820. XXXII u. 176 S. 8. (20 Gr.) *)

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enn auch die vorliegende Schrift die Staatswilsenschaft, als Wiffenfchaft betrachtet, nicht bereichern follte; fo ift es doch immer intereffant, ther die wichtigsten Punkte derfelben die Gedanken eines Mannes zu vernehmen, der die Ehre hat, mit an einem Werke zu arbeiten, worauf gegenwärtig die Aufmerkfamkeit von Deutschland und felbft von ganz Europa gespannt ift, wir meinen die Organifation der repräsentativen Verfaffung des preufsifchen Staats. Denn es leidet keinen Zweifel, dafs die Ideen eines Mitgliedes des Staatsraths, der fich als Philofoph, Gefchichtfchreiber und Redner auszeichnet, von practifchem Einfluffe feyn und den Befchlufs, den man über die künftige Organisation der ftändifchen Verfaffung Preufsens nehmen wird, mit werde bestimmen helfen. In diefer Hinficht wird alfo diefe Schrift eine umftändlichere Anzeige und eine ausführlichere Prüfung verdienen, als es fonft der Umfang und Inhalt derfelben erfodern würde.

Eine Einleitung von XXXII Seiten zeigt, dafs Staaten im Fortgange der Zeit, und insbefondere auch die deutschen Staaten jetzt, nothwendig Reformen verlangen, dafs bey diefen Reformen das beftehende Recht eben fowohl, als die Umstände, Sitten, Gewohnheiten und Begriffe, welche Wirkungen der vorhergehenden Begebenheiten (der Zeit) find, berücklichtiget werden müffen, und dafs die Klugheit derer, welche dergleichen Reformen einleiten, befonders daran erkannt werde, dafs fie die Wirkungen ihrer Unternehmungen aus den vorhergehenden Umständen, und den fie umgebenden Urfachen, gehörig zu berechnen verstehen, dass aber der glückliche Erfolg folcher Reformen gröfstentheils von den bey den Regierten und Regierenden obwaltenden politischen Grundfätzen und von den Fortfchritten der Staatswiffenfchaft abhänge, indem falfche Lehren zu irrigen Wünschen und zu verderblichen Mifsgriffen verführen. Das Vorhaben des Vfs. bey fei ner Schrift ift nun, etwas zur Berichtigung falfcher Theorieen und zur Begründung der echten Staatswiffenfchaft beyzutragen, welches in drey Abhandlungen über den Zweck, die Formen und die bewegenden Principien des Staats ausgeführt wird.

Diefes fcheint der Haupt-Gedankengang der Einleitung zu feyn. In der Ausführung hat fich der Vf., unferem Bedünken nach, oft in eine streitige Metaphyfik verloren, die, da die Untersuchungen nicht erschöpft werden konnten, den Gegenftand mehr verdunkeln als aufhellen mufsten. So hebt die Einleitung gleich fo an: "Der Menfch ist weder ein reines Produkt der Natur, noch ein reines und von aller Mischung mit der Natur befreytes Wefen."Welch einen, Stoff zu Zweifeln, Einwendungen, Berichtigungen enthält diefer einzige Satz! Was haben wir überall für einen Begriff von einem Produkte, woran die Natur nicht Theil nimmt? - Nun wird von Gefetzen der Nothwendigkeit und der Freyheit geredet, natürlich höchft unvollständig und unbestimmt, wie es bey der Kürze nicht anders feyn konnte. Dann folgen Sätze, die kein Philofoph leicht zugeben wird, als: dafs die vernunftlofen Wefen nur den Gesetzen der Naturnothwendigkeit unterworfen wären, Wie? mufs nicht die ganze Natur dem Willen und den Abfichten Gottes, alfo dem moralischen Gesetz (der Freyheit) folgen, oder giebt es keine Teleologie? Ift nicht die Natur auch dem Gefetz des menfchlichen Willens unterworfen? Zeugen nicht alle Kunstwerke und jeder freye Gebrauch der Naturdinge davon? - Diefe unvollständigen Begriffe von Naturnothwendigkeit und Freyheit haben den Vf. zu einigen Behauptungen verführt, die er bey näherer Anficht gewifs abändern wird. Es wäre eine Thorheit," fagt er S.IX,,,die zu nichts als zu unnützen Anstrengungen führen, oder die vielmehr nicht ungeahndet und unbeftraft bleiben würde, wenn man fich der Naturnothwendigkeit entziehen oder diefelbe verbannen, und nicht in Anschlag bringen wollte." Was können diese Worte bedeuten? Das Gefetz der Naturnothwendigkeit ift das Gefetz der Urfachen und Wirkungen. Hat • es nun wohl je einen Unfinnigen gegeben, der fich diefem Gesetz hat entziehen wollen, der, ohne dass fich Urfachen in Bewegung fetzen, etwas hervorzubringen wähnte? Selbft der Müffige und Faule, der fein Glück vom Zufall erwartet, denkt doch nie, dass in diefem Zufalle keine Urfachen enthalten find; der Abergläubifche erwartet etwas von überfinnlichen oder verborgenen Urfachen. Der Gedanke, fich der Naturnothwendigkeit entziehen wollen, fcheint alfo durchaus finnlos zu feyn. Und wenn es einer

thut

*) Die Wichtigkeit diefer Schrift hat uns bewogen, aufser der Nr. 37 u. f. bereits abgedruckten Recenfion auch die gegenwärtige eines andern Verfaffers mitzutheilen.

Die Herausg. der A. L. Z.

thut oder thun könnte, weshalb follte diefes Ahndung oder Beftrafung verdienen? Möglich wäre nur, dafs er nicht die wahren Urlachen wählte, um zu feinem Zwecke zu gelangen. Das wäre dann Einfalt, Unwiffenheit, Irrthum. Aber Verbrechen? Denn dafs der Vf. nicht blofs einen verfehlten Erfolg unter der Strafe verfteht, ergiebt fich aus den, obigem Satze unmittelbar folgenden, Worten, wo es heifst:,,Es wäre eine Entadelung der Menfchheit, und alfo ein Verbrechen, wenn man alles auf Naturnothwendigkeit zurückführen wollte" u. f. w. Ein Verbrechen fetzt eine Handlung voraus, die das Recht eines Menfchen zu verletzen ftrebt. Wie kann aber eine blofse Meinung je Verbrechen werden? War Spinoza ein Verbrecher, weil er fich in den Begriff der moralifchen Freyheit nicht finden konnte, und weil er alles auf den Begriff der Nothwendigkeit zurückführen zu können glaubte? Wie hart und ungegründet würde ein folches Urtheil feyn! Weifs der Vf. nicht, wie diefer fromme und tugendhafte Mann fich bemühte, Religion und TuEr gend nach feinem Syftem zu bewahren? mochte irren. Das fodert Widerlegung, Gegenbeweis, der freylich fchwerer zu führen ist, als der Ausfpruch der Verdammung.

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Aus denfelben falfchen Begriffen von Freyheit und Nothwendigkeit fliefsen noch eine Menge irriger Behauptungen des Vfs., als S. XI: „Der (rohe) Menfch wird einzig und allein das, wozu die phyfifchen Umstände und die Localitäten ihn machen." Wer kann fo dreift feyn, den Umfang der Urfachen, die in dem Menfchen wirken, fo apodiktifch zu beftimmen und zu behaupten, dafs der freye Wille nicht auch im Dunkeln wirke, und felbft der rohefte Mensch einen moralifchen Charakter habe? Wie grundlos find daher folgende Urtheile: In der Barbarey lebt der Menfch wie das Thier, und blindlings folgt er den Naturtrieben." ,,Mit der Cul. tur allein hebt die freye Einwirkung des Menfchen in der Natur und in dem Laufe der Welt an, weil die Freyheit mit der Vernunft gleichen Schritt hält." Wie kann der Vf. wiffen und behaupten, dafs es je einen Moment im menfchlichen Leben gebe, wo die Vernunft ohne allen Einfluss auf ihn, eine Kraft ohne alle Wirkung wäre?

Dass ein jeder, der etwas wirken, alfo auch eine Regierung, die den Staat reformiren will, auf das, was bisher gefchehen, auf die vorhandenen Kräfte, Mittel, Leidenfchaften, Begriffe und Umftände, die ihren Abfichten beförderlich oder hinderlich fallen können, Rücklicht nehmen müffe, ift S. XII u. f. gezeigt; obgleich die Rede wirkfamer gewefen feyn würde, wenn darin die Abstractionen mehr vermieden und das Concrete aus der Wirklichkeit dargestellt worden wäre. Was kann z. B. folgendes Spiel mit den Gegenfätzen zweyer abstracten Begriffe, der Productivität und Paffivität für Wirkungen hervorbringen?,,Von den zwey Elementen, aus welchen das Leben der Völker besteht, dem der Paffivität oder der Empfänglichkeit, und dem der

Productivität des Geiftes oder der Thätigkeit, hat das erftere lange ein entfcheidendes Uebergewicht gehabt; alle Formen der Gefellfchaft waren auf diefe Paffivität berechnet, und dermafsen gestaltet, dafs das Mechanische vorherrschte, und die geistige, freye Einwirkung des Staatsbürgers in das Staatsleben durch Gefinnung und Handlung nicht Statt fin den konnte. Schon feit einem halben Jahrhundert haben die Regierungen den entgegengesetzten Weg mit glücklichem Erfolg eingefchlagen. Das thätige Element der geiftigen Productivität hat in den meiften Staaten ein entfchiedenes Uebergewicht über die Paffivität erhalten" u. f. w. Schwerlich verfchafft diefe abftracte, fcholaftifche Stelle den folgenden fchön ausgedrückten Gedanken mehr Licht und Leben, wo es heifst:,,Dem Wunsche ihrer Völker find fie (die Herrfcher Deutschlands) entgegen gekommen und haben in ihren Staaten die neue Belehung und zweckmäfsige Modification der alten fian difchen Verfaffung freywillig verfprochen. Sie ha ben es gethan, nicht allein weil die ftändifchen Formen herrliche Bürgen der Zukunft und fefte Schutzwehren der bürgerlichen Freyheit find, nicht allein weil fie die Vernunftmäfsigkeit der Gefetze fichern, indem diefelben eine jede Einfeitigkeit verhindern und die Wünsche, wie die Bedürfniffe des Volks zur Sprache bringen, fondern weil diefelben dem fchon ausgebildeten und nach einer höhern Bildung firebenden Theil der Nation eine gefetzmäfsige und or ganifche Stimme verleihen."

Wenn man diefe und mehrere Stellen diefer Ein leitung mit Wohlgefallen und mit Beyfall liefet; fo wird man doch nicht umhin können, ́ manche Aeufserungen, die fich an jene Wahrheiten angehängt haben, zu mifsbilligen, weil fie wenigftens leicht mifsgedeutet werden können, obgleich der Vf. felbst fie in ihrer Anwendung vor fchlimmen Folgen ver wahren möchte. Das Bedenkliche darin muss um fo mehr angedeutet werden, als ein Einflufs davon auf das practifche Leben leicht möglich ift. Wir rechnen dahin folgende Stelle (S. XXIII): „Dafs in diefer gährenden und gebärenden Zeit liege der Keim von möglichen Umwälzungen, dafs ein ungeregelter Trieb nach Thätigkeit in einen wilden Trieb zu zerftörenden Bewegungen ausarten könne, dafs viele, die nichts zu verlieren haben, und alles zu gewinnen trachten, alles Beftehende auflöfen und zermalmen möchten, um ihrer blinden Schwärmerey und ihrem ftolzen Wahne gemäfs, alles neu zu fchaffen, kann kein unbefangener Beobachter der Zeit leugnen und foll keine Regierung verkennen. Allein das einzige Mittel, diefen Gefahren vorzubeugen, ift, den Weg zu verfolgen, den die Regierungen eingefchlagen haben, nämlich die vermeintlichen, unberufenen Weltverbefterer mit Ernft, Nachdruck und Strenge zurück zu weifen, und zugleich immer dem Recht, der Vernunft, der wahren Freyheit das zu geben, was ihnen gebührt. Wenn die bey weitem gröfsere Anzahl der Verständigen, Guten und Edeln, vermit telft liberaler, echt monarchischer Inftitutionen, mit

dem

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dem Staate immer inniger verbunden werden, fo werden mit ihnen, unter dem heiligen Banner von Gott, König und Vaterland, die Regierungen kräftig und ftark, unerfchrocken und fich felbft vertrauend auftreten, die unbefugten Eingriffe in den Gang der Gefellichaft abwehren, die eigennützigen, unter der heuchlerischen Maske des Gemeinfinnes ihr Wefen treibenden Leidenfchaften befchämen oder bekämfen, die Excentricität der Handlungen in die Schranken der Gesetze, die der Meinungen in die Schranken der Erfahrung und nüchternen Staatsklugheit zurück führen."

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te, welchen jede Regierung einnehmen foll, muss fie immer fie immer an die öffentliche Meinung appelliren" u. f. w.,,Auch können es die Regierungen mit vol lem Vertrauen und gerechtem Stolze thun, wenn der Standpunkt, den fie behaupten, der des ftrengen Rechts, der practifchen Vernunft und der gefetzmäfsigen Freyheit ift;" fo fcheint diefes bey weitem nicht hinreichend, die Denkfreyheit zu sichern. Denn wie nun, wenn eine Regierung fich nicht fo frey von allen Fehlern weifs, und welche ift denn fehlerfrey? Ift fie dann befugt, den Leuten den Mund zu ftopfen, dafs ihre Fehler nicht kund wer- . So viel Schönes und Wahres diefe Stelle enthält: Wie wenig wird die Meinungsfreyheit gelo liegen doch auch manche Sätze darin, die fehr fichert feyn, wenn man fie an folche Bedingungen leicht gemifsdeutet und zur Rechtfertigung der blo- knüpft? Man fieht den geringen Vorfchub, den fsen Willkür gebraucht werden können. Niemand ihr der Vf. thut, noch mehr ein, wenn man folgende wird es beftreiten, dafs die Regierung jeder in die Stelle liefet:,,Von diefer starken Stellung aus (wenn öffentliche Ruhe und Ordnung eingreifenden Hand- fie nämlich gerecht und vollkommen ftaatsklug find) lung und jeder Tendenz zu einer folchen Handlung können fie (die Regierungen) manches vorfchnelle, kräftig entgegen wirken mufs; Niemand wird der fchiefe und ungerechte Urtheil über fich ergehen lafMeinung widerfprechen, dafs es Pflicht der Regie- fen." Alfo felbft die gerechte und weife Regierung rung fey, auf die ich entwickelnden Ideen über kann nur manches vorfchnelle, fchiefe und ungeVolkswohl und Staatsbedürfnilfe zu achten und ihre rechte Urtheil über fich ergehen laffen? - Sie Gesetze und Inftitutionen nach diefen Ideen, fo weit wird alfo Manches andere, das ihr nicht anfteht fie eine bewährte Prüfung aushalten, zu modificiren. oder gefällt, ahnden und beftrafen dürfen. Heifst Bedenklichkeiten müffen aber entstehen, wenn der das aber nicht eben fo viel, als: es bleibt immer in Vf. die Behauptung begünstigt, dafs die Regierung der Willkür der Regierung, jedes Urtheil, das ihr auch in das Reich der Meinungen eingreifen und nicht gefällt, für vorfchnell, fchief und ungerecht Die milden diejenigen nicht aufkommen laffen foll, die den Ma- zu erklären und daffelbe zu bestrafen? ximen, welche fie befolgt, entgegen zu feyn fchei- Phrafen des Vfs. können gegen diefe Willkür nicht nen. Wird diefes auch nicht geradezu und aus- retten. So lange das Princip nicht unbedingt heifst: drücklich gefagt: fo läfst es fich doch aus den gege-,,Jeder kann urtheilen und meinen, was er will. So benen Andeutungen leicht folgern. Nirgends aber ift es nothwendiger, die Grenzen der Macht genau und unzweydeutig zu beftimmen, als im Staatsrechte. Der Vf. will die Regierung immer nur durch Betrachtungen der Klugheit von dem Mifsbrauche ihrer Gewalt zurückhalten, das ftrenge Rechtsgefetz, welches ihre Grenzen bestimmt, ift nirgends in Anwendung gebracht. - Wie kann es z. B. in der Macht des Staats ftehen,,,die Excentricität der Meinungen in die Schranken der Erfahrung und der nüchternen Staatsklugheit zurück zu führen," wie es Hr. A. von demfelben erwartet? - Wer foll beurtheilen, welche Meinungen excentrifeh, und der nüchternen Staatsklugheit entgegen and? Ein Regent, der Rouffeau's Meinung zugethan ift, wird Haller's Syftem für excentrifeh erklären, und ein Regeut, der Haltern anhängt, wird Rouffean's Syftem verdammlich finden. Verstattet man der Regierung eine Einmifchung in den Meinungskrieg; fo ift die Geiftest yranney unvermeidlich. Die milden Formen, die fie annehmen mag, wird man nur den fubjectiven Eigenschaften der Regenten verdan ken. Meinungen müffen durch Gründe, nicht durch Gefetze regulirt werden. Jede Bedingung, die man diefem Princip anhängt, führt zur Geiftestyranney. Der Vf. hängt aber die Freyheit der Discuffionen über Meinungen an dergleichen Bedingungen. Wenn er gleich S. XXV fagt: „Von dem hohen Standpunk

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lange er dadurch keinen andern beleidigt und kein befimmtes Gesetz verletzt, kann ihn kein Gericht zur Verfo lange beherrscht antwortung darüber ziehen Willkür das Gedankenreich, und wo bleibt denn der Schutz des Rechts, der Freyheit, den doch der Vf. Wird zum einzigen Zwecke des Staats macht? das Oeffentliche dem öffentlichen Urtheile Preis gegeben: fo darf auch nicht verhindert werden, dafs fchlecht und Jchief darüber geurtheilt werde. Die Regierung darf diefes nicht verbieten, nicht deshalb, weil fie fich zu ftark und zu erhaben fühlt, fondern weil es überhaupt nicht recht ist, und fie es nicht Welcher foll, fie mag fchwach oder stark feyn. Regierung entgehen nicht dann und wann unzweckmässige u felbft ungerechte Gefetze? Soll fe nun nicht dulden, dafs diefe Verirrungen aufgedeckt wer den? Hn. A's Worte geben der Beantwortung diefer Frage einen weiten Spielraum, und fetzen es gänzlich in das Belieben der Regierung, wie weit fie ihre Duldfamkeit ausdehnen wolle. Denn fie kann, nach S. XXVI, „ihrer Bestimmung ftets eingedenk, der Zügellofigkeit Feffeln anlegen, den Eigennutz entlarven, die Frechheit zu Boden drücken." Phrafen, die durchaus keinen bestimmten Begriff, und daher Ein Finanzmider Willkür freyes Spiel geben. nifter wird es leicht zügellos finden, wenn man feinen Finanzplan, feinen Tarif, fein Kreditfyftem in Anfpruch nimmt; wenn man die Vertheilung der Auf

lagen

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