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sehr bedeutungsvoll geworden; u. a. zeigt er sogleich die Unhaltbarkeit des von Schleicher aufgestellten Stammbaumes (oben S.76), indem er die obengenannten vier Sprachgruppen, Griechisch, Italisch, Keltisch und Germanisch im Gegensatz zu allen übrigen in ein näheres Verhältnis zueinander bringt. Man pflegt jetzt der Kürze halber, nach den Benennungen für 'hundert' die zuerst genannten als centum-Sprachen, die zuletzt genannten als satem-Sprachen zu bezeichnen.

Die frühere Auffassung der Vokalverhältnisse in unserem Sprachstamm, wie sie besonders bei Schleicher zutage tritt, habe ich oben auf S. 80 berührt und auch dort wurde schon erwähnt, dass einem a des Sanskrits bald ein a, bald ein e(i) oder o(u) anderer Sprachen entsprechen kann, z. B. sanskr. bharāmi 'ich trage', 3. Pers. bharati, 3. Pers. pl. bharanti = gr. φέρω, (φέρει,) φέρουσι, ursprünglich und dorisch φέροντι, lat. fero, (fert,) ferunt, got. baira (ai = kurzes e), bairip, bairand, altkirchenslav. berą (‘ich nehme'), bereti, berati, oder sanskr. ajra-s 'Acker', siehe oben S. 78. Nachdem einmal festgelegt war, dass das Sanskrit die vermeintlich älteste und ursprünglichste Sprache unseres Sprachstamms sei, gab es niemand, der die geringsten Zweifel darüber äusserte, dass a in den Fällen, für die ich hier Beispiele angeführt habe, überall das Ursprüngliche sei. Warum und unter welchen Umständen es sich auf so verschiedene Art entwickelt habe, diese Frage konnte niemand beantworten, ja es machte niemand auch nur den Versuch dazu.

Den ersten kleinen Fortschritt in der Auffassung dieses Sachverhalts verdanken wir G. CURTIUS,) der nachwies, dass bezüglich des e strenge Übereinstimmung zwischen allen europäischen Sprachen unseres Stammes herrscht, wogegen der Unterschied hinsichtlich der anderen Laute etwas grösser ist. Er schloss daraus, dass in den europäischen Sprachen verschiedene Spaltungen des ursprünglich einheitlichen a-Lautes vor sich gegangen sein mussten. Zuerst müsse sich auf gemeineuropäischer Stufe (das heisst auf der angenommenen Stufe, auf welcher alle europäischen Sprachen unseres Sprachstammes nach ihrer Trennung von den asiatischen [indisch -iranischen]

1) Über die Spaltung des a-Lautes im Griechischen und Lateinischen, in: Berichte der Kgl. Sächs. Ges. d. Wiss., philol.-hist. Kl. 1864.

Sprachen noch eine Einheit ausgemacht haben sollen) das a in a und e gespalten haben, später hätten sich dann in den Einzelsprachen die übriggebliebenen a weiter gespalten, teils in a, teils in o. Durch diesen Nachweis, dass der e-Laut allen europäischen Sprachen gemeinsam ist, erhielt die bisher in Deutschland allgemein geltende Grimmsche Anschauung, nach der a, i, u die ursprünglichen Vokale der germanischen Sprachen seien, den Todesstoss. Während man also bisher z. B. das i in got. itan ‘essen' für ursprünglicher gehalten hatte als das e in nordisch eta, war es jetzt vollkommen klar, dass das Verhältnis das umgekehrte gewesen ist eine Tatsache, die übrigens in Dänemark früher ausgesprochen und anerkannt worden war, zuerst von E. JESSEN 1) und dass das e das selbe ist, das wir in griechisch und lateinisch edo haben, wogegen das gotische i eine besondere Veränderung des e darstellt.

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Bei dieser von Curtius stammenden Ansicht von der Spaltung des ursprünglichen a blieb man nun einige Jahre stehen; aber befriedigen konnte sie doch auf die Dauer nicht. Es blieb auch jetzt noch unverständlich, weshalb das ursprüngliche a in einigen Fällen zu e, in anderen zu o geworden war oder sich als a erhalten hatte; eine Regel oder ein Gesetz war da unmöglich zu entdecken. So musste man nach und nach zu der Frage kommen: Ja aber, verhält es sich denn nicht gerade umgekehrt? Sind es wirklich die europäischen Sprachen, die ein ursprüngliches, nur in den indo-iranischen Sprachen bewahrtes a in mehrere Laute gespalten haben, oder sind es nicht eher diese zuletzt genannten Sprachen, die verschiedene, ursprünglich getrennte Laute vermischt und den einheitlichen Laut a daraus gemacht haben?

Dafür, dass sich dies wirklich so verhält, einen ganz entscheidenden Beweis zu führen, ist auch tatsächlich gelungen; ich will kurz erwähnen, worin dieser besteht. Wie oben (S. 90) erwähnt, haben wir im Sanskrit und ebenso teilweise in den iranischen Sprachen neben den Lauten k, kh, g, gh eine zweite Reihe vonLauten, die Palatale c, ch, j und h, und diese beiden Reihen stehen in naher Beziehung zueinander und wechseln oft miteinander ab. Die zuletzt angeführte Reihe ist etwa dieselbe

1) Tidskrift for Philologi og Pædagogik I, 1860, S. 218.

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wie die, die wir z. B. im schwedischen kär neben karl, im italienischen cielo neben caro u. ä. finden. Hier sind diese Laute offenkundig jüngeren Ursprungs, indem sie vor „Vorderzungen“Vokalen (i, e u. ä.) oder j an die Stelle älterer k, g getreten sind. Für das Sanskrit scheint die Annahme eines solchen Ursprungs nicht zu passen. Aber sieht man näher zu, so zeigt es sich doch, dass man bis auf einzelne Ausnahmen, die offenbar auf leicht erklärlichen Analogieeinflüssen beruhen vor einem ursprünglichen stets die Palatale c, j usw. und nicht k, g usw. findet und das Umgekehrte vor u. Es scheint also doch auch hier eine gewisse Beziehung zwischen diesen Konsonanten und dem folgenden Vokal zu bestehen. Aber die grösste Schwierigkeit liegt darin, dass wir vor a bald die eine, bald die andere Konsonantenreihe finden, ohne dass es möglich wäre, aus dem Sanskrit selbst irgendeinen, wie immer gearteten Grund für einen solchen Wechsel zu entnehmen. Durch eingehende Untersuchungen dieses Sachverhalts gelang es jedoch, auf überzeugende Art zu beweisen - eine Entdeckung, die in den Jahren 1875-76 etwa gleichzeitig von mehreren Seiten gemacht wurde, dass vor a regelmässig c, j usw. erscheint, wenn diesem a ein e der europäischen Sprachen entspricht, dagegen k, g usw., wenn dem a ein europäisches a oder o entspricht. Einige Beispiele seien hier angeführt: ca 'und' =lat. que, gr. Tε; catvāras 'vier' gr. téooαpes, got. fidvōr; immer in der Reduplikationssilbe z. B. cakāra, Perfektum der Wurzel kar 'machen', vgl. gr. 2έ201лα, lat. рepuli; pacati 'er kocht', aber pāka-s 'Kochen', zwei Wörter, die sich ebenso zueinander verhalten wie z. B. gr. 2ɛyɛ zu λóyos; katara-s 'welcher von beiden' gr. лóτερos, got. hvapar usw. Ausnahmen lassen sich in der Regel leicht erklären. Wenn wir z. B. in der 3. Pers. plur. pacanti mit c haben, obgleich die Endung hier ursprünglich -onti gewesen ist, beruht dies einfach auf einem analogischen Ausgleich ähnlicher Art, wie er z. B. in frz. aimer (S. 87f.) vorliegt. Nachdem es auf anderem Wege gelungen ist, auch das ursprüngliche Vorhandensein eines vom a-Laute verschiedenen o zu beweisen, ist es nun vollständig klar, dass das einheitliche a des Sanskrit weit davon entfernt ist, das Ursprüngliche darzustellen, sondern dass es vielmehr durch sekundäre Vermischung von e, das den Haupt

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vokal bildet, o, das grösstenteils im Ablautverhältnis zu e steht, und einem davon verschiedenen a entstanden ist. Durch all dies hat die Theorie von der durchgehend grösseren Ursprünglichkeit der Sanskritsprache einen starken Stoss erhalten, und es zeigt sich, dass besonders das Griechische in wesentlichen Punkten, namentlich in den Vokalverhältnissen auf einer älteren Stufe steht als das Sanskrit.

Daran schliesst sich nun eine Reihe anderer neuer Entdeckungen über das Lautsystem und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Lauten, so z. B. die verschiedenen Ablautsreihen der Vokale. 1) Es zeigt sich nun, dass dieses Verhältnis weit komplizierter ist, als man nach der schematischen Aufstellung bei Schleicher glauben sollte (oben S. 80), und dass es wenigstens zum Teil vom Akzent abhängig ist, wenn auch die Analogie und andere, teils noch ungeklärte Prozesse mit hineinspielen. Wenn es z. B. im Sanskrit heisst émi 'ich gehe' (mit · è aus älterem ai), 1. Pers. pl. imás, im Griechischen eiui, luev, so muss es ursprünglich etwa *éimi, pl. *imés gelautet haben. Während man früher das i als Grundlaut und das ei als eine ihrer Ursache nach dunkle „Steigerung" davon aufgefasst hat, sehen wir jetzt das ei als Grundstufe an, die sich in akzentuierter Silbe unverändert erhält, das i dagegen als eine zufolge der Akzentlosigkeit geschwächte Form davon mit abgeworfenem e (vgl. die auf S. 88 f. besprochenen Formen der Wurzel es-).

Noch ein Umstand, der in höchst bemerkenswerter Weise davon zeugt, mit welcher Zähigkeit die verschiedenen Lauterscheinungen und Lautnuancen durch die wechselnden Sprachstufen bewahrt werden und sich fortsetzen können, ist hier zu erwähnen, ein Umstand, der von dem Dänen KARL VERNER in einer Abhandlung nachgewiesen wurde, die zu den aller

1) Von epochemachenden Arbeiten über diese Verhältnisse hebe ich BRUGMANN, Nasalis sonans in der indogermanischen Grundsprache und Zur Geschichte der stammabstufenden Declinationen hervor, beide in den von Curtius, von diesem Band an zusammen mit Brugmann, herausgegebenen Studien zur griechischen und lateinischen Grammatik, IX, 1876 und F. DE SAUSSURE, Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indo-européennes, Leipzig 1879. Betreffs weiterer Arbeiten muss ich mich mit dem Hinweis auf BECHTEL, Hauptprobleme, und BRUGMANN, Grundriss (unter den verschiedenen Erscheinungen), begnügen.

berühmtesten in der neueren Entwicklung unserer Wissenschaft gehört.1) Es handelt sich um die Erklärung gewisser Eigentümlichkeiten bei der Lautverschiebung der germanischen Sprachen (oben S. 58 f.). Da steht es nämlich so, dass die normalen Übergänge von ursprünglichem p, t, k zu f, þ, h durchgehend nur im Anlaut (dem Anfang der Wörter) auftreten, während wir im was schon von Rask bemerkt wurde Inlaut und Auslaut bald dieselben Laute f, þ, h, bald b, d, g antreffen. Entsprechend z. B. lat. pater, māter, frāter haben wir im Gotischen fadar, modar, aber brōpar und im Hochdeutschen, zufolge der zweiten Lautverschiebung" von gemeingermanisch d zu t und þ zu d, Vater, Mutter, aber Bruder (im Altisländischen sind b und d in o zusammengefallen: faðir, móðir, bróðir). Dieser Sachverhalt hatte bis zu jener Zeit als ein Rätsel gegolten, als eine vollständige Regellosigkeit; aber Verner hat die Erklärung gegeben und dies auf einem äusserst merkwürdigen und interessanten Weg. Verner zeigt nämlich auf ebenso geniale wie vollkommen überzeugende Weise und durch eine grosse Anzahl von Beispielen, dass die besprochene Verschiedenheit der Lautentwicklung auf einer ursprünglichen Akzentverschiedenheit beruht, welche mit der Akzentuationsart übereinstimmt, die wir namentlich in den ältesten indischen Literaturdenkmälern, den Veden, und mit einiger Veränderung im Griechischen finden und die auch aus anderen Gründen als die ursprüngliche unseres Sprachstammes angesehen werden muss. Auf Sanskrit heisst es z. B. pitár-, mātár-, aber bhrátar-, gr. πατήρ (μήτηρ mit verändertem Akzent im Nominativ, während der ursprüngliche z. B. im Akk. untέga bewahrt ist), aber poάrog, und in diesem Akzentunterschied liegt nach dem ,,Vernerschen Gesetz" die Erklärung für die ungleiche Behandlung des ursprünglichen t in den germanischen Sprachen: t muss zunächst überall zu geworden sein, aber dieses b hat sich im Inlaut nur unmittelbar nach der akzentuierten Silbe gehalten, während es sonst zum stimmhaften Laut d (d. h. ) geworden ist.

Genau so verhält es sich mit den

1) Eine Ausnahme der ersten Lautverschiebung, datiert Juli 1875, abgedruckt in Kuhns Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung XXIII, 1876, S. 97 ff.

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