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Tag (jom), und die Finsternis nannte er Nacht (lájil)“, er nannte die ausgestreckte Feste" (die Wölbung) Himmel (šāmájim), ernannte das trockene Land Erde (éreș) und die Sammlung der Wasser nannte er Meer (jammīm)“. Eine ganz andere Vorstellung liegt 1. Buch Mose 2, 19-20 zugrunde, wo es heisst: „Und Gott der Herr hatte aus der Erde alle wilden Tiere auf dem Felde gemacht und alle Vögel des Himmels und er führte sie zum Menschen, um zu sehen, wie er jedes benennen würde, und ganz so, wie Adam jede lebende Seele benannte, so war ihr Name." Der Unterschied, der hier zutage tritt zwischen Kap. 1 (,,der Elohist"), wo Gott selbst den grossen Naturphänomen ihre (hebräischen) Namen gibt, und Kap. 2 („der Jahvist“), wo Adam, der Mensch, die lebenden Wesen benennt,1) stellt in Wirklichkeit zwei verschiedene Grundauffassungen dar, wozu wir in dem Streite der griechischen und wieder, etwa zwei Jahrtausende später in dem Streit der neueren Philosophen über diese Fragen Parallelen finden werden. Demselben Streben danach, sich sprachliche Probleme klarzumachen, begegnen wir in den recht zahlreichen Beispielen von etymologischer Erklärung eines Namens wie (1. B. M. 2, 23) iššah 'Weib' aus iš 'Mann' oder (3, 20) Eva (Ḥavvah) als „,Mutter alles Lebenden" (haj) u. a. m., oder in der naiven, sicher auf Vermischung verschiedener Mythen beruhenden Erzählung (Kap. 11) vom babylonischen Turm als Erklärung dafür, wie die Mannigfaltigkeit der Sprachen entstanden ist an Stelle der einen, die ursprünglich über „die ganze Erde" hin gesprochen wurde.

Es würde nicht schwer fallen, aus anderen Literaturen entsprechende Zeugnisse für die Anziehungskraft beizubringen, welche die Beschäftigung mit solchen Problemen stets auf den Menschengeist ausgeübt hat; aber von da zu einer Sprachwissenschaft ist noch ein ungeheuerer Schritt, und wenn wir nun besonders bei den naiven Vorstellungen verweilt haben, die wir im alten Testament antreffen, so geschah dies nicht nur darum, weil wir hier einige der ältesten Ausdrücke für dieses Suchen des Menschengeistes haben, sondern auch, weil wir viel später zu ganz denselben Vorstellungen zurückkehren

1) Vgl. Es. TEGNER, Språkets makt öfver tanken, Stockholm 1880, S. 11 ff.

werden, die auf einer weit jüngeren Zeitstufe einen schicksalsschweren Einfluss auf die Entwicklung der Sprachwissenschaft erlangen sollten.

Aber wie gross auch, wie gesagt, der Schritt von da zu einer Sprachwissenschaft ist, dieser Schritt wurde doch schon innerhalb der Grenzen des Altertums in zwei Ländern unabhängig und unter ziemlich verschiedenen Verhältnissen und Formen getan, nämlich einerseits bei den Indern, anderseits bei den Griechen.

Die Sprachwissenschaft der Inder ging ursprünglich aus der Beschäftigung mit den alten heiligen Hymnen hervor, den Veden, insbesondere dem Rigveda. Zu welcher Zeit diese Hymnen entstanden sind, das ist, wie alles, was indische Chronologie vor Asoka (um 250 v. Chr.) betrifft, ganz unsicher; aber die ältesten Teile von ihnen können kaum einer wesentlich jüngeren Zeit zugesprochen werden als etwa dem Jahre 1500 v. Chr. Im Laufe der Zeit konnte es nicht anders geschehen, als dass sich der Unterschied zwischen der gesprochenen Sprache und dieser alten Dichtersprache mehr und mehr vergrösserte, so dass die alten Hymnen allmählich in vielen Punkten unverständlich. wurden. Anderseits war es zugleich von grösster Wichtigkeit, dass die heiligen Gesänge mit der äussersten Genauigkeit überliefert würden, und dies nicht bloss, was den Text selbst betrifft, sondern auch bis auf die kleinsten Einzelheiten in der Aussprache und dem Vortrag jedes Verses und jeder Silbe im Verse; denn davon hing gerade ihre religiöse Bedeutung ab, die Wirkung, die sie den Göttern gegenüber haben sollten. Auf diese Überlieferung wurde unglaublich viel Mühe und Studium verwandt, und dies um so mehr, als die ganze Überlieferung ausschliesslich oder so gut wie ausschliesslich mündlich war, und das Ergebnis ist offenbar auch eine ganz merkwürdige Treue und Genauigkeit gewesen. 1) Aus diesem Streben nach richtiger Überlieferung und Auslegung der alten Gesänge ist nun die höchst eigenartige Sprachwissenschaft der Inder hervorgegangen; aber nachdem sich diese einmal entwickelt hatte,

1) Vgl. N. L. WESTERGAARD, Om de ældste Tidsrum i den indiske Historie med Hensyn til Literaturen, 1860, S. 44 ff. S. SØRENSEN, Om Sanskrits Stilling i den alm. Sprogudvikling i Indien (K. D. Vidensk. Selsk. Skrifter 6. R., hist. og filos. Afd. III, 3), 1894, §§ 1—10.

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beschränkte sie sich keineswegs bloss auf die Vedasprache, sondern umfasste ebenso vollkommen oder noch vollständiger die Form des Sanskrit, die als die allgemeine gesprochene Sprache (bhāṣa) und Schriftsprache aufgefasst werden muss. 1)

In welcher Zeit bei den Indern die grammatischen Studien oder Beobachtungen ihren Anfang genommen haben, darüber wissen wir nichts; doch gehen die ersten Spuren davon schon weit zurück. Ihren Höhepunkt erreicht diese Wissenschaft mit PANINI, dessen grammatisches Werk uns mit allerhöchster Bewunderung erfüllen muss. Über seine Lebenszeit sind die Meinungen etwas geteilt gewesen; aber alle Wahrscheinlichkeit spricht doch dafür, dass er um 300 oder in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. gelebt hat. Übrigens brachte die indische Literatur eine Menge anderer grammatischer und lexikalischer Arbeiten hervor, die teils älter, teils jünger als Panini sind und zum Teil anderen Schulen angehören; aber eine Aufzählung davon wäre hier überflüssig.

Es ist eine äusserst bemerkenswerte Höhe, die die Sprachwissenschaft bei den Indern erreicht hat, eine Höhe, zu der sich diese Wissenschaft in Europa nicht vor dem 19. Jahrhundert emporschwingen konnte, und auch dies nicht, ohne manches von den Indern gelernt zu haben. Die Grammatik der Inder, wie sie namentlich bei Pāṇini auftritt und wie man dies auch nach ihrem Ursprung am ehesten erwarten muss, hält sich an das rein Empirische; sie analysiert und beschreibt die Sprachformen, aber mischt nicht, wie dies zum Teil bei den Griechen der Fall war, Spekulationen über den Ursprung der Sprache oder der Wörter oder über allgemeine sprachliche Prinzipien darunter. Zwar findet sich dergleichen auch bei den Indern, aber das wird von der eigentlichen Grammatik ausgeschieden, wenn auch mit einiger Verschiedenheit in den verschiedenen Schulen, und wird im grossen ganzen nur den Philosophen überlassen.

Die Grammatik der Inder hat eine feine anatomische Behandlung des ganzen Sprachbaues zum Hintergrund, was

1) Vgl. WESTERGAARD, a. a. O., S. 63 ff. TH. BENFEY, Geschichte der Sprachwissenschaft und oriental. Philologie in Deutschland, München 1869, S. 35 ff. SØRENSEN, a. a. O., § 11 ff.

durch die verhältnismässig klaren Formen der Sanskritsprache begünstigt wurde. Jedes Wort wird in alle seine Bestandteile aufgelöst: Beugungsendung, Stamm mit seinen verschiedenen Ableitungszusätzen und Wurzel. Auf Wurzeln (sanskr. dhātu 'Grundlage'), im wesentlichen mit verbaler Bedeutung, werden womöglich alle Wörter zurückgeführt, und schon vor Panini hatte man ausführliche Verzeichnisse der in der Sprache vorkommenden oder angesetzten Wurzeln. 1) Wenn auch die Inder bei der Konstruktion solcher Wurzeln in vielen Fällen gewiss allzu weit gegangen sind und wenn auch die Form, in der sie die Wurzeln darstellen, nicht immer gebilligt werden kann, müssen wir doch den Scharfsinn und die Folgerichtigkeit bewundern, mit der sie hierbei zu Werke gegangen sind, und man muss sagen, dass die neuere Sprachwissenschaft eigentlich erst, nachdem sie mit den Indern bekannt geworden war, das Operieren mit diesen Abstraktionsbegriffen, Wurzeln und Stämmen, gelernt hat; gerade das hat ihr auch ein von der älteren Grammatik so verschiedenes Gepräge gegeben aber eine Zeitlang allerdings derart, dass man vergessen hat, dass dies eben nur Abstraktionen sind, nicht wirkliche Tatsachen.

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Diese Analyse ist jedoch nur der Hintergrund. In der Darstellung selbst wird der entgegengesetzte Weg beschritten. Sie ist streng synthetisch. Die erste Grundlage bildet die Darstellung der Sprachlaute und ihres gegenseitigen Verhältnisses. Hier treffen wir nun zunächst genaue Bestimmungen über die physiologische Bildung der einzelnen Laute an, die von einer eigenartigen Beobachtungsgabe zeugen und diese Seite der indischen Sprachwissenschaft beträchtlich höher stellen als das, was wir von der Art bei den Griechen und Römern haben, und an die Ergebnisse der Neuzeit näher

1) Vgl. WESTERGAARD, Radices linguae sanscritae, Bonnae 1841. In Sanskritwörterbüchern und -grammatiken werden die Verba nicht in einer gebeugten Form angeführt (wie z. B. lat. amo, fero), sondern immer in der von den indischen Grammatikern aufgestellten Wurzelform, z. B. vid 'wissen', tud 'stossen', bhy (oder in neuerer Zeit gewöhnlich bhar) 'tragen', pac 'kochen' u. ä. Ebenso werden die Substantiva und Adjektiva in der Stammform angegeben, nicht, wie wir es von anderen Sprachen her gewöhnt sind, im Nominativ, und in derselben Form werden gewöhnlich indische Namen angeführt wie Pāṇini, Kālidāsa, während der Nominativ auf -s (-ḥ) endigt.

heranrücken. 1) Sodann werden die Lautübergänge und das Verhältnis zwischen den verschiedenen verwandten Lauten genau beschrieben. So kann die Bestimmung der Beziehungen im Vokalismus hervorgehoben werden, die mit dem verglichen werden können, was wir im griechischen λείπω, ἔλιπον, λέλοιπα, 201лós finden, und was überhaupt so charakteristisch für die indoeuropäischen Sprachen ist etwas, wovon die griechischen Grammatiker nie Notiz genommen haben z. B. von der Wurzel „vid" vidya 'Wissen', vidma 'wir wissen', vēda 'ich weiss', vēda-s 'das heilige Wissen', vaidya-s 'gelehrt' (gegenüber dem angesetzten Grundvokal i in diesem Beispiel wird ē als guna, eigentlich 'Eigenschaft, Akzidens'[?], āi als vṛddhi 'Zuwachs' bezeichnet).

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Was den eigentlichen Sprachbau, die ganze morphologische Seite der Sprache betrifft, so beruht die Darstellung auf einer klaren und umfassenden Erkenntnis aller verschiedenen Kategorien. Unter scharfer Scheidung zwischen dem, was wir primäre Endungen nennen, mit welchen Wortstämme von Wurzeln abgeleitet werden (vgl. z. B. griech. pú-oɩ-s), und den sekundären Endungen, mit welchen dann von diesen wieder neue Worte gebildet werden (vgl. griech. pv-o-xó-s), werden eingehende Regeln für die Wortbildung u. ä. gegeben; genau bis auf alle Einzelheiten wird die Bildung der verschiedenen Beugungsformen beschrieben, z. B. der Kasus (und diese werden als erster, zweiter usw. bezeichnet nach der einzig richtigen Reihenfolge: 1. Nominativ, 2. Akkusativ, 3. Instrumentalis, 4. Dativ, 5. Ablativ, 6. Genetiv, 7. Lokativ), die Bildung der zahlreichen Verbalformen usw. All dies wird mit einer Feinheit und Vollständigkeit mitgeteilt, dass man kaum in der Darstellung der Grammatik irgend einer anderen Sprache etwas Entsprechendes finden wird; es werden z. B. genaue Bestimmungen darüber angegeben, wann die eine oder die andere Bildungsweise gebraucht werden soll, und zugleich genaue Regeln für all die verschiedenen Arten von Lautveränderungen, die in jedem einzelnen Falle eintreten können, für alle Einzelheiten der Betonung jeder Form usw. Auch für eine Reihe

1) Die Darstellung der Lautsystematik der Inder bei ERNST BRÜCKE, Grundzüge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute, Wien 1876, S. 100 ff., ist wenig erschöpfend und auch kaum ganz richtig oder gerecht.

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