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Von durchgreifender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Sprachwissenschaft wurde die Bekanntschaft mit der Sanskritsprache zufolge ihres Alters, ihres Formenreichtums und ihrer eigentümlichen Klarheit im ganzen Bau. Englische Gelehrte sind es, denen das Verdienst gebührt, am Ende des 18. Jahrhunderts, nachdem Indien unter die Herrschaft der Engländer gekommen war, die Kenntnis dieser Sprache nach Europa gebracht zu haben. Unter diesen Gelehrten sei besonders WILL. JONES (1746-1794) erwähnt, der erste, der in Indien ordentlich Sanskrit lernte und sich u. a. durch die Gründung der „Asiatischen Gesellschaft" in Calcutta verdient gemacht hat. Schon im Jahre 1786 sagte er im ersten Bande der von dieser Gesellschaft herausgegebenen Asiatick Researches, S. 4421): „The Sanscrit language, whatever be its antiquity, is of a wonderful structure; more perfect than the Greek, more copious than the Latin, and more exquisitely refined than either, yet bearping to both of them a stronger affinity, both in the roots of verbs and in the forms of grammar, than could possibly have been produced by accident; so strong, indeed, that no philologer could examine them all three, without believing them to have sprung from some common source, which, perhaps, no longer exists: there is a similar reason, though not quite so forcible, for supposing that both the Gothick and the Celtick, though blended with a very different idiom, had the same origin with the Sanscrit; and the old Persian might be added to the same family, if this were the place for discussing any question concerning the antiquities of Persia." Es sei auch erwähnt, dass er Kālidāsas Šakuntalā übersetzte, ein Drama, das sogleich ausserordentlich grosses Aufsehen erregte. Ausser ihm seien besonders H. TH. COLEBROOKE, der die Ausgabe der ersten Sanskritgrammatik begann, und CH. WILKINS hervorgehoben.

Aber bald kamen diese Studien auch nach Frankreich und hierauf nach Deutschland und erlangten da einen ungeheueren Einfluss auf die Entwicklung der Sprachwissenschaft, für die Deutschland überhaupt in hervorragendem Masse zu danken

ist

wenn man dort auch manchmal die Neigung zeigt, sie

1) Vgl. BENFEY, Geschichte der Sprachwissenschaft, S. 348.

als seine spezielle Domäne zu betrachten. 1) Die erste Schrift in Deutschland, die die Aufmerksamkeit auf das Sanskrit lenkte, war FR. V. SCHLEGELS (1772-1829) Arbeit Über die Sprache und Weisheit der Indier (Heidelberg 1808). Diese verrät freilich ziemlich mangelhafte Sprachkenntnisse und enthält in ihrem ersten Abschnitt, „über die Sprache", neben sehr feinen Bemerkungen (u. a. auch über die Bedeutung der grammatischen Struktur für die Genealogie der Sprachen) recht unklare Betrachtungen sprachphilosophischer Art und über die verschiedenen Arten von Sprachen; aber als Ganzes trug sie durch die geistvolle Darstellung der verschiedenen Seiten des Kulturlebens und die begleitenden poetischen Übersetzungen gewaltig dazu bei, das Interesse für sprachliche Studien und für das ferne Indien zu erwecken. Sein älterer Bruder AUG. WILH. V. SCHLEGEL (1767-1845) war der erste deutsche Gelehrte, der sich während eines Aufenthaltes in Paris, um 1814-15, tiefer in das Sanskrit einarbeitete, ein Fach, für das er vom Jahre 1818 bis zu seinem Tode Professor in Bonn war.

In Paris weilte damals ein junger Landsmann von ihm, der ihm bei diesen Studien behilflich war und bald der Sprachwissenschaft neue Wege weisen sollte. Es war FRANZ Bopp (1791-1867, Professor in Berlin). Sein erstes Werk handelt Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache (Frankfurt a. M. 1816). Die zweite Hälfte des Buches, S. 159-312, enthält Ubersetzungen aus dem Sanskrit. Dieses Werk ist also zwei Jahre jünger als Rasks Preisschrift, aber erschien zwei Jahre vor diesem, und beide sind demnach unabhängig voneinander. 1819 erschien eine vermehrte englische Ausgabe. Es ist zwar nur eine Anfängerarbeit, lässt aber doch

1) Der französische Sprachforscher V. HENRY hat einmal in einer Rezension dasselbe ausgedrückt in Form einer Klage über die Abneigung deutscher Sprachforscher, das anzuerkennen oder von dem Notiz zu nehmen, was nicht den Stempel „made in Germany" trägt. Es können auch Beispiele angeführt werden für unberechtigte Versuche, diesen Stempel anzubringen (für meine Person muss ich z. B. einen solchen entschieden abweisen in Zeitschr. für roman. Philol. III, S. 489 und auf eine andere Weise in bezug auf dasselbe in Gröbers Grundriss der roman. Philol. I, S. 116; das dort Besprochene ist ganz andere Wege gegangen und die Hypothesen, auf die hingewiesen wird, sind meiner Überzeugung nach unhaltbar).

schon ahnen, was man von ihrem Verfasser erwarten kann. Wie Rask legt auch er der Vergleichung der Sprachen den grammatischen Bau zugrunde und in Deutschland wird er als derjenige betrachtet, der zuerst eingesehen hat, dass dies der Weg ist; das ist jedoch, wie oben ausgeführt, nicht richtig; aber unbestreitbar sind es seine Werke, die zunächst dazu beigetragen haben, dieses Prinzip festzulegen. Nur eine Seite des Sprachbaues, die Verbalflexion, behandelt er in dieser Arbeit, und durch Vergleichung der Formen in den verschiedenen im Titel genannten Sprachen zeigt er, dass diese Formen im wesentlichen gemeinsam sind und demnach auf einen gemeinsamen Ursprung hinweisen. Vor allem diesen ihren ersten Ursprung sucht er durch weitgehende Annahme der „Einverleibung" verschiedener Wurzeln herauszufinden, namentlich der Wurzel ,,as" "sein', die er nicht nur z. B. in dem Aorist mit dem Zeichen s findet, der im Sanskrit ebenso wie im Griechischen vorkommt, sondern auch z. B. in dem lateinischen Passivzeichen r, durch sehr gewaltsame Veränderungen, ja selbst in den isländischen Passivformen auf -st wie elskast! Wenn wir diese Jugendarbeit Bopps und Rasks Preisschrift miteinander vergleichen, sehen wir sofort, dass das Ziel in den zwei Arbeiten verschieden ist und dass beide auf ihre Weise schwache Punkte in den Einzelheiten haben. Bopp hat den Vorteil, das Sanskrit mit seinen reichen und klaren Formen benutzen zu können. Innerhalb des Gebietes, an das er sich hält, sucht er tiefer zu schürfen, er kommt aber fast überall auf recht schwankenden Boden. Rask nimmt nach einer klar durchdachten und klar dargestellten Methode ein weit grösseres Feld in die Arbeit, was den Umfang sowohl der Erscheinungen als auch der Sprachen betrifft, und kommt dabei erstaunlich weit, ohne das Sanskrit berücksichtigen zu können. Im ganzen betrachtet

wenn man sich also nicht an die halbe und schlechte Vatersche Übersetzung hält glaube ich, dass Rask nicht nur den Vergleich durchaus ertragen kann, sondern dass ein unparteiischer Richter seiner Arbeit sogar den Vorrang vor der Bopps geben wird.

Das besprochene Werk von Bopp war indessen auch nur der erste jugendliche Versuch. Was er da auf einem begrenzten Gebiete nachgewiesen hatte, das führte er später in gross

artigem Masstab für den ganzen Sprachbau in seinem Hauptwerk aus, durch das die vergleichende Sprachwissenschaft im wesentlichen ihre erste Gestalt erhielt und das, wie sehr sich auch die Auffassungen seit seiner Zeit verändert haben, doch die einschneidendste Bedeutung für die Geschichte der Sprachwissenschaft erlangt hat. Der vollständige Titel lautet: Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Send, Armenischen, Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Altslavischen, Gothischen und Deutschen, wobei man beachten muss, dass das Altslavische erst im zweiten Band der ersten Auflage, das Armenische erst in der zweiten Auflage hinzukam. Es sind drei Bände. Die erste Auflage ist in Berlin 1833-52 erschienen, die zweite, vollständig umgearbeitete, in den Jahren 1857-61 (mit einem Registerband von C. Arendt, 1863) und die dritte, fast unveränderte Auflage schliesslich 1868-70, also nach dem Tode des Verfassers. Das Werk wurde auch ins Französische übersetzt von M. BRÉAL (1832-1916]) unter dem Titel Grammaire comparée des langues indoeuropéennes, 1866—74, in vier Bänden. Einen besonderen Wert erhält diese Übersetzung durch die vorzüglichen Einleitungen, mit denen sie Bréal versehen hat.

In einer leichten und freien Form, oft mit Abschweifungen nach rechts und links, gibt Bopp in diesem Werke einen Vergleich des Baues aller im Titel erwähnten Sprachen, indem er, in der Regel mit dem Sanskrit als Ausgangspunkt, die verschiedenen Erscheinungen eingehend untersucht; er zergliedert die Sprachformen mit grosser Schärfe und Kombinationsgabe, zeigt die Entwicklung, die sie durchgemacht haben, und sucht stets, so weit dies möglich ist, ihren ersten Ursprung zu finden. Es ist überhaupt die genetische Seite der Sprachentwicklung, die das Ziel von Bopps Forschungen bildet. In deutlicher Anlehnung an die indischen Grammatiker geht er hierbei davon aus, dass die Wörter in unserem Sprachstamm ursprünglich von Wurzeln abgeleitet sind, die nur aus einer Silbe bestehen. Es gibt zwei Klassen von solchen: Verbalwurzeln wie as 'sein', tan 'dehnen', von welchen Verba und Nomina gebildet werden, und Pronominalwurzeln wie „ta“, „ma", die den Pronomina und zum Teil den verschiedenen Arten von Partikeln zugrunde liegen. Die Beugungsendungen, sowohl, wie es scheint, in der

Auf

Kasusflexion als auch in der Personalflexion der Verba, sind ebenfalls ursprünglich Personalwurzeln, jedenfalls zum grössten Teil, z. B. die Endung der 1. Person -mi aus „ma“ (mich),1) die Endung der 3. Person -ti aus „ta" (gr. to-, das). ähnliche Weise wird dieses schon im „Conjugationssystem" aufgestellte (und von W. v. Humboldt gestützte) Prinzip zur Erklärung anderer Formen angewandt, die durch Hinzufügung, Agglutination von ursprünglich selbständigen Wurzeln an die Hauptwurzel entstanden seien, z. B. der Aorist mit dem Zeichen s von der Wurzel as 'sein', und ebenso das Futurum, bei welchem er in dem im Sanskrit (-sya-) nach dem s auftretenden y (d. h. j) dasselbe Zeichen sieht, das sich im Optativ findet und das er auf eine Wurzel i 'wünschen' zurückführt; in lat. amavi erklärt er das v aus der Wurzel bhū, lat. fu-i, usw. Wir werden später sehen, wie sich nach und nach gewichtige Stimmen gegen diese ganze Betrachtungsweise erhoben, die in neuerer Zeit auch ganz bedeutend modifiziert worden ist. Was die Lautverhältnisse betrifft, so spricht Bopp zwar von den für die verschiedenen Sprachen charakteristischen Lautübergängen als von „,physischen" Gesetzen, aber erkennt sie dennoch nicht als solche an, da er sich fortwährend allerlei Ausnahmen von ihnen erlaubt; im ganzen behandelt er gleich Rask diese Seite des Gegenstands mit grosser Freiheit und lässt sie nur eine recht untergeordnete Rolle spielen. Es stört ihn z. B. nicht, anzunehmen, dass in griechischen Aoristen wie ἔθηκα, ἔδωκα κ ausnahmsweise = ursprüngliches s ist, und dies dadurch zu stützen, dass slavisches ch einem ursprünglichen s entspricht. Charakteristisch ist es, dass die Lautlehre gar nicht als ein eigener Abschnitt auftritt, sondern dass er nur einen Abschnitt „Schrift- und Laut-System" hat, der nicht einmal die Hälfte des ersten Bandes ausmacht.

Nebst diesem grossen Werk hat Bopp eine Reihe anderer grösserer und kleinerer Arbeiten geschrieben, zum Teil als Vorarbeiten zu diesem. Ferner seien die verschiedenen Hilfsmittel hervorgehoben, die er zum Studium des Sanskrit herausgegeben hat, so mehrmals Darstellungen der Grammatik und

1) Vgl. Rasks Preisschrift S. 179 und 258, wo auch angenommen wird, dass die Personalendungen Abänderungen der entsprechenden Pronomina oder von diesen herübergenommen seien.

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