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lung eines Gebietes dieser Kategorie geschehen ist, um so kürzer ist in der Regel die Frist, während der Weiße dort leben kann. Die körperliche Arbeit liegt hier in den Händen Farbiger. Versuche, hier weiße Verbrecher als Arbeiter zu verwenden, wie es Frankreich und Portugal versuchen, scheitern nicht sowohl an der Einrichtung an sich als an den natürlichen Bedingungen.

3. Zweck der Kolonisation.

Die Ansichten über Zweck und Nutzen von Kolonien sind mehrfachem Wechsel unterworfen gewesen. Portugiesen und Spanier haben ihre ersten Kolonialerwerbungen ausgeführt, um die Hand auf die Gebiete zu legen, welche die damals am höchsten bewerteten Waren, die Gewürze und Edelmetalle, erzeugten. An dieser Auffassung haben sie lange festgehalten. Neue Gebiete zur Ansiedlung überschüssiger Bevölkerung oder zur besseren Unterbringung gewerblicher Erzeugnisse brauchten sie nicht, da beides bei ihnen sehr schwach entwickelt war. Auch Franzosen, Holländer, Engländer verlegten sich auf koloniale Unternehmungen zu Anfang lediglich unter dem von Portugal und Spanien vertretenen Gesichtspunkt.

In England regte sich indessen schon früh bei weiterblickenden Leuten eine andere Auffassung. Gewiß maß man dem Reichtum überseeischer Gebiete an Edelmetallen und Mineralien, sowie der Aussicht, von dort Gewürze, Seide usw. billig zu beziehen, die größte Bedeutung bei. Doch schon SIR HUMPHREY GILBERT'), SIR GEORGE PECKHAM und SIR WALTER RALEIGH betonten auch die Wichtigkeit neuer Gebiete für Ansiedlung des Überschusses der Bevölkerung. Erstere zwei erkannten ferner die Bedeutung von Kolonien für Absatz englischer gewerblicher Erzeugnisse, sowie Stärkung des Handels und der Seemacht des Mutterlandes. Beide wünschten ferner Kolonien zur Entlastung Englands von Vagabunden und Verbrechern zu benutzen, wogegen sich freilich SIR FRANCIS BACON in seiner Schrift „De plantationibus populorum" wendete. PECKHAM bezeichnete es endlich schon als eine dankbare Aufgabe eines kolonisierenden Volks, Christentum und Zivilisation unter den Eingeborenen zu verbreiten.

Diese Auffassung vom Zwecke der Kolonien ist bald allgemein angenommen worden. Nur wurde je nach der Lage der Verhältnisse der eine oder andere Punkt mehr betont. In Frankreich, das nicht glücklich genug war, die Hand auf Goldländer zu legen, empfahl MONTCHRETIEN 16152) die Erwerbung überseeischer Kolonien hauptsächlich zum Zweck der Hebung von Handel und Schiffahrt, Ableitung der Auswanderung vom

1) A discourse. Hackluyt. voyages III. 1600.

2) Traité de l'économie politique. Hrsg. von FUNCK-BRENTANO. Paris 1890.

spanischen Besitz und Ausbreitung von Zivilisation und Christentum. In Holland hatte man bei dem geringen Bevölkerungsüberschuß immer hauptsächlich die Förderung von Handel, Schiffahrt und Fischerei im Auge. Im weiteren Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts wurde der Besitz von Kolonien, dank den Theorien der Merkantilisten, eine wesentliche Vorbedingung für das Wohl eines Staats. Man erblickte in ihnen die Hauptquelle für den Erwerb von möglichst viel Edelmetall, dessen Besitz als entscheidend für eine günstige Handelsbilanz und damit für die Blüte des Staats galt. Der Handel mit ihnen wurde ferner als viel vorteilhafter wie der mit anderen Ländern erklärt. Dementsprechend war das Bestreben aller Staaten darauf gerichtet, Kolonien zu erwerben und sich den Alleingenuß aller von ihnen erwarteten Vorteile zu sichern. Praktische Politiker wie Theoretiker aller Länder waren von diesen Ansichten durchdrungen. Nur über die daraus zu ziehenden Schlüsse und die beste Art der Durchführung dieser Theorien entstand gelegentlich Streit. Ferner bestand Zwiespalt darüber, ob die Auswanderung nach den Kolonien ebenso bedenklich für ein Mutterland sei wie die nach anderen Ländern und ebenso bekämpft werden müsse. In Spanien glaubte man durch die Auswanderung vieler Leute nach den Kolonien schweren Schaden erlitten zu haben. SIR JOSIAH CHILD 1) erklärte dagegen 1668 die Auswanderung nach den englischen Kolonien als unter verschiedenen Gesichtspunkten vorteilhaft für England. - Zweifel an der Richtigkeit der merkantilistischen Auffassung vom Nutzen der Kolonien begannen sich zuerst in Frankreich, wohl unter dem Eindruck der unglücklichen Kolonialkriege und des Scheiterns der großen, auf den überseeischen Besitz gesetzten Hoffnungen, im 18. Jahrhundert zu regen. MONTESQUIEU erklärte in den „Lettres persanes" 2) die Schwächung des Mutterlandes für die gewöhnliche Wirkung der Kolonialpolitik. Ihre Verteidigung und die sonst für ihre Entwicklung zu bringenden Opfer machten sich selten bezahlt. VOLTAIRE 3) fand, daß der Kolonialerwerb und die dafür geführten grausamen und verderblichen Kriege im Grunde keinen anderen Nutzen gehabt hätten, als die Erzeugung von überflüssigem Luxus. BERNARDIN De SAINTPIERRE, ROUSSEAU und DIDEROT sprachen der Kolonisation ebenfalls allen Nutzen ab. Und nicht allein vom philosophischen und humanitären Standpunkte, sondern auch vom volkswirtschaftlichen aus verurteilte man bald die koloniale Politik. V. DE MIRABEAU wies 1758 in seinem „Ami des hommes" und 1766 in der Philosophie rurale" zum erstenmal nach, daß das so sorgsam gehütete Monopol des Handels mit den Kolonien den Mutterländern mehr Schaden als Nutzen bringe. Denselben Standpunkt vertrat F. QUESNAY von 1758 ab in verschiedenen Schriften. 4)

1) A new discourse of trade.
3) Fragments sur l'Inde.

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mes. 1758; Remarques sur l'opinion. 1766.

2) Lettre CXXI.

4) Questions interessantes. 1758; Maxi

In England fanden diese Ansichten lange keinen Widerhall. Man hielt hier an den hergebrachten merkantilistischen Anschauungen fest, bis ADAM SMITH in seiner „Inquiry into the nature and causes of the wealth of Nations" (1776) an der Hand der Erfahrung die geltende Theorie in einigen Hauptpunkten erschütterte. Zunächst zerstörte er die verbreiteten irrigen Ansichten über Edelmetalle und Gold, indem er nachwies, daß es eben auch nur eine Ware sei und denselben Gesetzen wie solche unterliege. Damit wurde die Auffassung von den besonderen Vorteilen des Kolonialbesitzes für die Versorgung des Mutterlandes mit Edelmetallen erschüttert. Abgesehen davon legte SMITH dar, wie gering die Erfolge der meisten Völker bei dem Suchen nach Edelmetallen gewesen seien. Es sei das die die wenigsten Aussichten bietende Lotterie der Welt. Der gewöhnliche Preis eines Loses sei das ganze Vermügen eines sehr reichen Mannes. Minenpläne hätten gewöhnlich Kapital und Zinsen verschlungen. An zweiter Stelle wies er nach, daß mit wenigen Ausnahmen die Kolonien dem Mutterlande mehr gekostet als eingebracht und durch ihre Unfähigkeit, sich selbst zu verteidigen, seine Stellung geschwächt haben. Der einzige Vorteil, den Kolonien brächten, fließe aus dem Handel. Aber im Bestreben, diesen Vorteil möglichst zu vergrößern und dem Mutterande allein zuzuwenden, habe man überall Maßregeln zur Monopolisierung fürs Mutterland ergriffen. Diese hätten mittelbaren und unmittelbaren Schaden zur Folge gehabt. SMITH stand nicht an zu erklären, daß einfache Handelsverträge mit Kolonien dem Mutterlande mehr nützten als das Monopol. Er erkannte den Kolonien vor fremden Ländern nur den Vorzug zu, daß sie durch Bande des Bluts und der Gewohnheit dem Handel des Mutterlandes eine größere Sicherheit gewährleisteten.

Ähnliche Ansichten entwickelte im selben Jahre TURGOT in seinem Mémoire sur les colonies américaines". Auch er verwarf die merkantilistischen Theorien vollständig und sprach den Kolonien keinen anderen Nutzen zu als befreundeten Staaten. Dritte Staaten zögen von den Kolonien ebensoviel Vorteil wie das Mutteriand. Letzteres sei eher im Nachteil, da es die hohen Kosten für die Verteidigung der Kolonien trage. G. GRIVEL1) verlieh diesen Ansichten 1784 in der Encyclopédie Ausdruck. Er wies darauf hin, daß gerade die Staaten, deren innere Entwicklung die größten Fortschritte gemacht, Rußland und Preußen, niemals Kolonien besessen hätten. Er tat ferner dar, wie irrig die Grundlage der merkantilistischen Theorie sei, der Glaube, daß der Schaden eines Nachbarstaats den Vorteil eines Landes bedeute. Er kleidete zum Schlusse seine Auffassung in die Worte „L'homme a beau faire, il a beau chérir sa propre injustice et vouloir déguiser, en parlant des beaux noms d'esprit de commerce, d'habilité, de science d'Etat, de politique etc. le desir de

1) Geb. 1735, gest. 1810; Advokat, später Professor.

prévaloir sur ses voisins et de prendre l'huitre pour lui . . ., l'ordre social et l'ordre naturel, dont il fait partie, la volonté suprême de son auteur, qui ne peut être que poids et mesure, justice, égalité, tout réprouve ces petits calculs d'un esprit borné et cette soif hydropique et fait tourner ses fausses mesures contre son propre objet."

Die von SMITH, TURGOT und der Encyclopédie vertretenen Anschauungen fanden Anklang bei der jüngeren Generation. Man begann Besitz und Behandlung von Kolonien mit anderen Augen anzusehen. Nur so war es möglich, daß die zuerst von einigen Menschenfreunden eingeleitete Bewegung zur Unterdrückung der Sklaverei Unterstützung bei allen Staaten fand, eine Maßregel, welche den Ruin der bis dahin meistgeschätzten Kolonien zur unvermeidlichen Folge haben mußte. JEAN BAPTISTE SAY ging in seinem 1803 erschienenen „Traité d'économie politique" so weit, den Verlust der Kolonien als geradezu segensreich für Frankreich zu bezeichnen und dem Kolonialbesitz allen Nutzen abzusprechen. In seinem Aufsatz De l'Angleterre et des Anglais" gab er diesen Ansichten 1815 nicht nur neuen Ausdruck, sondern fügte hinzu: „Le vieux système colonial tombera partout dans le cours du 19° siècle. On renoncera à la folle prétention d'administrer des pays situés à 2, 3, 6 mille lieues de distance; et lorsqu'ils seront indépendans, on fera avec eux un commerce lucratif, et l'on épargnera les frais de tous ces établissemens militaires et maritimes qui ressemblent a ces étançons dispendieux, au moyen desquels on soutient mal-à-propos un édifice qui s'écroule."

Die Tatsachen bestätigten diese Erwartungen zunächst nicht! Die Kolonialländer hielten auch im 19. Jahrhundert an ihrem Besitz zäh fest, und Spanien begann einen langen verzweifelten Kampf gegen die nach freierer Bewegung strebenden Kolonien. Doch die Theoretiker ließen sich dadurch nicht irremachen. JAMES MILL wiederholte 1823 in der Encyclopaedia Britannica die Ansichten von SMITH und TURGOT. Er erklärte das zähe Festhalten an Kolonien trotz ihres geringen Nutzens durch das Interesse gewisser Kreise, die dort gute Stellungen und Einfluß fänden, und den Wunsch der Regierungen, Gelegenheit zur Stärkung der bewaffneten Macht und zu Kriegen zu haben. Dagegen sei aber so schwer anzukommen, weil sie mit solchen Bestrebungen immer den Beifall der Massen fänden, „nothing is worthy of more attention, in tracing the causes of political evil, than the facility with which mankind are governed by their fears; and the degree of constancy with which, under the influence of that passion they are governed wrong. The fear of Englishmen to see an enemy in their country has made them do an infinite number of things, which had a much greater tendency to bring enemies into their country than to keep them away". JEREMY BENTHAM verfocht ähnliche Anschauungen in seinen Reden und Schriften. Auch

SIR HENRY PARNELL sprach in der Schrift „On financial reform“ (1832) den Kolonien so ziemlich jeden Wert fürs Mutterland ab.

Diese extremen Ansichten gewannen keine praktische Bedeutung. Die Staaten hielten nach wie vor an den Kolonien fest, und bei den praktischen Politikern kam nur ein Wechsel hinsichtlich ihrer Behandlung in Frage. Man fing an sich zu überzeugen, daß ein Bruch mit den hergebrachten merkantilistischen Einrichtungen unvermeidlich sei, daß aber auch dann noch der Besitz von Kolonien Vorteile gewähre. GEORGE CORNWALL LEVIS wies 1841 in seinem „Essay on the government of dependencies" nach, daß abhängige Gebiete dem Mutterland nicht nur als Bezugsquelle für Soldaten und als Stützpunkte für Heer und Flotte nützlich wären, sondern auch zur Förderung von Handel und Schiffahrt beitrügen, Arbeitern und Kapitalien der Heimat vorteilhafte Beschäftigung böten und gelegentlich auch für Unterbringung von Verbrechern in Frage kommen könnten. Allerdings verhehlte er nicht, daß diesen Vorteilen große Opfer des Mutterlandes für militärische Zwecke und Beschränkung des Handels zugunsten der Kolonien, die Wirkung der Günstlingswirtschaft und die Gefahr der Verwicklung in Kriege gegenüberständen. HERMAN MERIVALE1) erachtete auch nach Aufhebung des schädlichen Handelsmonopols den Handel und Verkehr mit Kolonien und die Stärkung des politischen Einflusses, den ihr Besitz gewähre, für sehr wichtig. Dieselbe Auffassung vertraten WAKEFIELD in der 1849 erschienenen „View of the art of colonization" und ARTHUR MILLS 1856 in seinen Colonial constitutions".

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JOHN ARTHUR ROEBUCK rühmte 1849 in dem Buche The Colonies of England" ihnen den Wert für Kapitalanlage, Unterbringung von Auswanderern und Handelsunternehmungen nach. Und dieser Ansicht sind auch die Männer geblieben, welche unter dem Einfluß der großen Freihandelsbewegung die Lösung aller politischen Bande zwischen Mutterland und Kolonien und die Verweisung der letzteren auf eigene Kraft, wie COBDEN, BRIGHT, MC. CULLOCH, JOHN STUART MILL, J. E. Th. ROGERS und der Professor GODWIN SMITH 2), befürwortet haben. Heute besitzt so ziemlich allgemein die Theorie Geltung, welche P. LEROY-BEAULIEU in „De la colonisation chez les peuples modernes“ 3) aufstellt. Der Wert der Kolonien besteht danach darin, daß sie ein dem Mutterlande besonders geeignetes Feld für Auswanderung und Kapitalanlagen bieten, dem Handel und der Industrie des Mutterlandes, und unter Umständen auch seinen Arbeitern und Konsumenten, Nutzen gewähren. Diese Vorteile kommen allerdings allen Ländern im Verkehr mit einer Kolonie zugute, doch

1) Lectures on colonization. 1841-42.

2) The Empire. London 1863; The foundation of the American colonies. Oxford 1861. 3) Paris 1902. Liv. II, Chap. 3.

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