Page images
PDF
EPUB

und allgemeine Verwaltung wurde den Ansiedlern niemals, solcher auf Rechtspflege und lokale Angelegenheiten erst spät im 17. Jahrhundert eingeräumt. Nur in Surinam besaßen infolge der dortigen besonderen Verhältnisse die Kolonisten eine Vertretung in dem Beirat des Gouverneurs. In allen holländischen Kolonien waren daher Reibereien zwischen den Behörden und den Ansiedlern an der Tagesordnung, und oft kam es zu unangenehmen Zusammenstößen. Es dürften diese Umstände neben der Kleinheit der Bevölkerung Hollands nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, daß die weiße Besiedelung seiner Besitzungen immer so geringfügig geblieben ist.

Ein Umschwung trat erst ein, als England während der Revolutionskriege sich der meisten holländischen Kolonien bemächtigte. Kurz entschlossen räumten die Briten mit den veralteten Einrichtungen der Kompagnie auf und ersetzten sie durch die in ihren Kolonien üblichen. In den nach englischem Brauch den Gouverneuren an die Seite gesetzten Councils erhielten überall auch die Kolonisten Sitz und Stimme. Als die niederländische Regierung nach dem allgemeinen Friedensschluß wieder in den Besitz des größten Teils ihrer Kolonien kam, mußte sie damit rechnen. Den Kolonisten wurden alle Vorteile des holländischen Rechts wie zu Hause eingeräumt und der Willkür der Beamten Schranken gesetzt. Die Verfassung von 1814 legte die oberste Leitung des Kolonialwesens in die Hand eines Raads van Koophandel en Kolonien, der vom König Befehle erhalten sollte. Niederländern, die in den Kolonien geboren waren, wurde 1815 noch ausdrücklich das Recht zur Bekleidung jedes, auch des höchsten Postens im Mutterlande verbürgt. In Ausführung der Bestimmung der Verfassung wurde zuerst 1814 ein Departement für Handel und Kolonien geschaffen, neben dem der Raad van Koophandel en Kolonien in Tätigkeit war. 1818 wurde das Kolonialamt mit dem Ministerium für Unterricht und Gewerbe verschmolzen und der Raad van Koophandel aufgehoben. 1825 wurden die Angelegenheiten der Marine und der Kolonien in einem Ministerium vereinigt.

Weder dem niederländischen Parlamente noch den Kolonisten stand jedoch bis 1848 ein Recht zu, bei Regelung der kolonialen Angelegenheiten mitzuwirken. Der König besaß hierzu unumschränkte Vollmacht. Das wurde anders infolge der Verfassung von 1848. Sie ließ zwar dem Monarchen das Recht der Regierung in den Kolonien, schrieb aber vor, daß das alle sie betreffenden Reglements unter Mitwirkung des Parlaments durch Gesetz festgestellt werden müßten.

Das auf Grund dieser Verfassung 1854 erlassene Regierungreglement für Indien verlieh dem nur noch eine Schattenexistenz führenden Rat von Indien, dem Beirat des Generalgouverneurs, wieder mehr Bedeutung. Der Generalgouverneur wurde nämlich verpflichtet, seine wichtigeren. Maßregeln jederzeit in Übereinstimmung mit den Ansichten der genannten

Körperschaft zu treffen. Dazu wurde der kolonialen Presse größere Freiheit verliehen und somit die Verwaltung der Kritik der öffentlichen Meinung unterworfen. Ehe der Willkür hinsichtlich des Finanzwesens der Kolonien ein Ende gemacht wurde, hat es noch lange gedauert. Erst 1864 ist das Gesetz zustande gekommen, welches die jährliche Feststellung des Kolonialetats durch Gesetz vorschrieb und die Rechnungslegung und Finanzkontrolle regelte.

Gegenwärtig liegt die Vertretung der Interessen der Kolonisten in Niederländisch-Indien noch immer lediglich in der Hand des aus fünf Mitgliedern bestehenden Rats von Indien. Letztere werden ebenso wie der Generalgouverneur von der Krone ernannt. Der Rat hat in einzelnen Angelegenheiten das Recht der Gesetzgebung; in andern steht ihm nur die Befugnis zu, Gutachten abzugeben. Die oberste Regierungsgewalt übt das niederländische Parlament, in dem die Kolonien nicht vertreten. sind. Für die kolonialen Angelegenheiten besteht seit einer Reihe von Jahren ein eigenes Ministerium.

In Westindien sind den Ansiedlern mehr Selbstbestimmungsrechte eingeräumt, trotzdem diese Kolonien seit langem nicht einmal ihre Kosten aufzubringen vermögen. In Surinam sowohl wie in Curaçao bestehen. Kolonialparlamente, deren Mitglieder der Mehrzahl nach von den Ansiedlern gewählt werden. Daneben gibt es ständige Beiräte der Gouverneure, in denen verschiedene von der Krone ernannte Vertreter der Kolonisten Sitz und Stimme haben.

V.

Die ältesten französischen Koloniegründungen waren das Werk einzelner Abenteurer, welche von der Krone mit weitgehenden Privilegien ausgestattet wurden. Der Gewinn sollte zwischen Krone und Unternehmern verteilt werden. 1) Die bei den verschiedenen Versuchen verwendeten weißen Kolonisten entnahm man meist Armenhäusern und Gefängnissen. Fürsorge für ihre bürgerlichen Rechte war daher nicht. erforderlich. Die Leute wurden etwa wie Soldaten behandelt. In den wenigen Fällen, wo sich Auswanderer freiwillig, um den religiösen Verfolgungen in Frankreich zu entgehen, kolonialen Unternehmungen anschlossen, wurde ihnen wohl eine Zeitlang wenigstens Gewissensfreiheit gewährt. Im übrigen aber entsprach das Regierungssystem naturgemäß auch in den Kolonien dem im Mutterlande herrschenden mittelalterlichen Despotismus. Man übertrug das dortige Feudalsystem ohne weiteres auf 'die Kolonien. Schon in dem 1540 ROBERVAL und 1598 dem Marquis

1) Vgl. z. B. das 1540 ROBERVAL für Canada erteilte Patent; ZIMMERMANN, Die europäischen Kolonien IV. S. 5.

DE LA ROCHE für Canada verliehenen Privileg wurde es ausgesprochen, daß der Leiter des Unternehmens das Land der Kolonien zu Lehen geben sowie Herrschaften, Grafschaften und Baronien gegen entsprechende Abgaben errichten dürfe. Dieselben Rechte wurden den Kolonisationsgesellschaften zugestanden, die im 17. Jahrhundert, wohl nach englischem und holländischem Vorbild, an die Stelle der einzelnen Unternehmer traten, so z. B. der Compagnie du Canada 1628, der Westindischen Kompagnie, 1642, der Ostindischen 1664, der Compagnie d'Occident 1717.

Um Rechte und Freiheiten der Ansiedler begann die Regierung sich ernstlicher erst zu kümmern, als sich die Unmöglichkeit herausstellte, auf die Länge nur mit Gefangenen und Soldaten zu kolonisieren. RICHELIEU befahl 1628 zum erstenmal ausdrücklich für Canada, daß alle Abkömmlinge von französischen Kolonisten ebenso wie die bekehrten Indianer volles französisches Bürgerrecht zu beanspruchen hätten. Er nahm dieselbe Klausel in alle später erteilten Privilegien auf, behielt außerdem der Krone die Ernennung der obersten Richter vor und bestimmte, daß die Rechtsprechung nach Maßgabe des französischen Rechts zu erfolgen habe. Als die weiße Bevölkerung in verschiedenen Ansiedelungen wuchs und gleichzeitig ihre eigenen Einnahmen eine ansehnliche Höhe zu erreichen begannen, genügten diese Bestimmungen den Kolonisten nicht mehr. In Canada wie Westindien forderten sie bereits gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts Anteil an der Verwaltung wie an der Rechtspflege und suchten das Mutterland und die Gouverneure durch Beschwerden wie durch allerlei Gewaltakte zur Nachgiebigkeit zu ver

anlassen.

Die Regierung entschloß sich zuerst in Canada zum Einlenken. Der erste Schritt war 1647 die Errichtung eines Conseil, das aus dem Generalgouverneur, dem von ihm ziemlich unabhängigen Gouverneur von Montreal und dem noch unabhängigeren Superior der in der Kolonie ausschlaggebenden Jesuiten bestand. Die neue Körperschaft sollte die oberste Leitung der Verwaltung und Finanzwirtschaft ausüben. Schon 1648 wurde sie durch drei Delegierte der Kolonisten ergänzt. Man traf nur, um die allgemeinnn Interessen sicherzustellen, die Vorsorge, ein für allemal einen bestimmten Teil der Einnahmen für militärische Zwecke anzuweisen und die Verfügung darüber der Krone vorzubehalten. 1663 wurde diese Körperschaft weiter ausgebaut. Sie bestand fortan aus dem Gouverneur, dem Bischof, dem Oberstaatsanwalt, dem Intendanten und fünf, später zwölf Vertretern der Kolonisten, erhielt den Namen Conseil souverain und wurde den französischen Provinzparlamenten rechtlich gleichgestellt.

Eine ähnliche Einrichtung wurde 1670 in den fortgeschrittenen westindischen Kolonien getroffen. Der gewünschte Zweck wurde jedoch hier so wenig wie in Canada erreicht. Die Kolonisten wollten, je blühender

die Lage der Ansiedelungen war, umso weniger dem Mutterlande Einfluß einräumen. Sie sträubten sich gegen alle Aufwendungen für militärische Zwecke und wollten die Steuer- und Zolllasten möglichst herabdrücken. Dazu strebten die herrschenden Klassen naturgemäß danach, die ganze Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege möglichst ihrem engsten Interesse entsprechend zu gestalten. Wiederholt kam es daher zu Zusammenstößen, und mehrfach mußten die Befugnisse der Conseils souverains enger umgrenzt oder gegen ihre Mitglieder eingeschritten werden. LUDWIG XIV. wies die Gouverneure strengstens an, jeder Ausbildung der Conseils im Sinne ständischer Vertretungen entgegenzuarbeiten. Dafür suchte man durch bessere Ordnung der Rechtspflege und Beschränkung des Einflusses der Verwaltungsorgane darauf den Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenzukommen. Bis zum Verlust Canadas an England hat sich in diesen Verhältnissen nichts Wesentliches geändert. Das wirklich besiedelte Gebiet stellte bei der Eroberung in jeder Hinsicht ein genaues Abbild des Mutterlandes dar.

Auch in Westindien war das der Fall. Die in Canada mit den üblen Wirkungen der inneren Zerwürfnisse gemachten Erfahrungen haben aber hier dazu geführt, daß im 18. Jahrhundert den Kolonisten neben der Vertretung in den Conseils noch eine weitere in periodisch stattfindenden Assemblées zugestanden und daß ihnen größerer Einfluß auf das Steuerwesen gewährt wurde.

Die Oberleitung der kolonialen Angelegenheiten in Frankreich lag in der Hand der Marinebehörden. Ein während des 16. Jahrhunderts bestehendes besonderes Kolonialamt schuf 1626 zuerst RICHELIEU, nachdem ihm das neu geschaffene Amt des Grand maître et surintendant de la navigation. übertragen worden war. Von den Handelssachen abgelöst und besser ausgestaltet wurde das Amt 1669 durch COLBERT. Er trat damals an die Spitze des von LUDWIG XIV. ins Leben gerufenen Secretariat d'État pour la marine et les colonies, welches von da an die Oberleitung des Kolonialwesens gehandhabt hat. Als sachverständige beratende Körperschaft wurde ihm während der Regentschaft nach dem Tode LUDWIGS XIV. ein Conseil de commerce zur Seite gesetzt. In ihm waren alle französischen Handelskammern vertreten. Der erste durchgreifende Umschwung in der Regierung der Kolonien sowohl im Mutterlande als an Ort und Stelle wurde durch die französische Revolution veranlaßt. Die reichen und selbstbewußten Kolonisten von San Domingo erhoben schon 1788 den Anspruch, ebenso wie andere Teile Frankreichs in den französischen Generalstaaten vertreten zu sein. 1789 wurde ihnen in der Tat die Entsendung von 6 Abgeordneten in dies Parlament gestattet. In den folgenden Monaten bekamen die übrigen Kolonien dasselbe Recht, und in den Generalstaaten befanden sich von da an 17 Vertreter des überseeischen Frankreich. Gleichzeitig bemächtigten sich in den meisten Kolonien die

Assemblées der Regierungsgewalt und beraubten die Vertreter des Mutterlandes nach Kräften allen Einflusses. Das Parlament fand sich damit ab und gewährte am 8. März 1790 den Kolonien die volle Selbstverwaltung. Dem Mutterlande wurde nur das Oberaufsichts- und Vetorecht vorbehalten. Nach Maßgabe der 1791 zu dem Gesetze erlassenen Ausführungsbestimmungen wurden die Kolonien den französischen Departements gleichgestellt und wie diese auch zur Entsendung von Abgeordneten fürs Parlament und von Mitgliedern in den Kassationshof ermächtigt. Insofern sollten die Kolonien sogar vor den Departements bevorzugt sein, als sie volle Freiheit in der Regelung ihrer inneren Angelegenheiten zugesprochen erhielten.

Der Übermut der Kolonisten und die Ausschreitungen der kolonialen Assemblées verhinderten das Fortschreiten auf diesem Wege. Im März 1792 wurde die Entsendung von Regierungskommissaren in die Kolonien und die Neuordnung ihrer Verfassung nach den Vorschlägen der Kommissare beschlossen. Diese Maßnahme führte zum offenen Aufstand der Kolonien und zum Kampfe der Kolonisten und Sklaven, der mit dem Siege der letzteren endete. Vergebens erklärte der Konvent 1795 die Kolonien für untrennbare Teile der Republik und unterwarf sie deren Gesetzen. Die neue Verordnung war sowenig durchführbar wie die 1799 von Napoleon erlassene, wonach die Departementsverfassung fallen gelassen und eine neue Sondergesetzgebung ins Auge gefaßt wurde. Nach dem 1801 von ihm erlassenen Dekret wäre es mit der Selbstverwaltung der Kolonien gründlich zu Ende gewesen, und ihre gesamte Verwaltung wäre wieder in die Hände von französischen Beamten gekommen. Die Aufstände in den Kolonien und der Krieg mit England machten indessen die allgemeine Verwirklichung dieser Gesetzgebung unmöglich.

Die Oberleitung der Kolonien blieb auch während der Revolutionszeiten in der Hand des Marineamts. 1791 wurde nur in ihm ein besonderes Kolonialbureau errichtet, und 1799 wurde diesem noch eine besondere Abteilung des Conseil d'Etat als entscheidende Behörde zur Seite gestellt.

Der kleine Rest des Überseereichs, der 1814 Frankreich verblieb, wurde wieder in einen ähnlichen Zustand wie vor der Revolution versetzt. Die Verfassung von 1514 nahm dafür eine neue Sondergesetzgebung in Aussicht, doch erfolgte eine solche nicht. Die oberste Gewalt wurde von den Gouverneuren (damals Kommandanten und Administratoren genannt) geübt. Bei wichtigeren Angelegenheiten hatten sie nur das Gutachten eines aus den höchsten Beamten gebildeten Conseils zu hören. Den Kolonisten war anheimgestellt, ihre Ansichten und Wünsche gelegentlich in einem Comité consultatif d'agriculture et de commerce zum Ausdruck zu bringen.

Nach Verlauf einiger Jahre wurde diese Verfassung etwas ausgebaut.

« PreviousContinue »