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das Mutterland hat vor ihnen einen Vorsprung insofern, als Gemeinsamkeit der Sitten, Sprache und Überlieferung ihm zugute kommen.

Doch wird als Endzweck der Kolonialpolitik im Grunde heute nicht mehr dieser wirtschaftliche Nutzen der Kolonien, sondern die Verbreitung der Zivilisation, die Schöpfung neuer menschlicher Gesellschaften angesehen, wie das schon GODWIN SMITH betont hat. 1)

1) The Empire, Cap. XI; MARCEL DUBOIS, Systemes coloniaux. Paris 1895. Seite 7.

II. Kolonialbesitz vom völkerrechtlichen Standpunkt.

1. Portugal hat in den von seinen Seefahrern entdeckten Ländern mit Genehmigung der eingeborenen Machthaber oder gewaltsam festen Fuß gefaßt. Um vor der Einmischung anderer europäischer Mächte sicher zu sein, wandte es sich bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts an den Papst als den Statthalter Gottes auf Erden. Von ihm erhielt es 1441 den Besitz aller zwischen dem westafrikanischen Kap Bojador und Indien gelegenen Länder zugesprochen. Auf Betreiben seiner Diplomatie bestätigte Papst Calixtus III. unterm 8. Januar 1454 die Bulle seines Vorgängers. Der Papst belehnte damals den jeweiligen Großmeister des portugiesischen Christusordens förmlich mit dem in Frage stehenden Gebiete. Eine nochmalige Bestätigung erfuhren diese Bullen am 21. Juni 1481 durch Papst Sixtus IV.

Als Kolumbus seine kühne Fahrt über den Atlantischen Ozean ausgeführt und dabei nach seiner von aller Welt geteilten Meinung die Ostküste Indiens erreicht hatte, erhob Portugal auf Grund seiner ihm vom Papst erteilten Rechte Einspruch. Es stellte durch einen Botschafter inMadrid die Forderung, daß spanische Schiffe den Breitenkreis der Kanarischen Inseln nach Süden zu nicht überschritten und mit Indien keinerlei Verkehr unterhielten, da ihm daran das ausschließliche Besitzrecht zustehe. Gleichzeitig wurde es auch bei der römischen Kurie vorstellig. Der damalige Papst Alexander VI. war indessen ein Spanier. Dazu entzog man sich in Rom nicht der Erwägung, daß zur Zeit des Erlasses der für Portugals Ansprüche maßgebenden Bullen kein Mensch an die Möglichkeit der Fahrt nach Indien über das Atlantische Meer gedacht hatte. Der päpstliche Stuhl entsprach daher nicht den Forderungen Portugals, sondern erkannte Spanien das Recht auf den Besitz der von ihm entdeckten Gebiete zu, soweit damit nicht Ansprüche anderer christlicher Mächte verletzt würden.

Am 4. Mai 1493 teilte er dann die Welt in zwei Hälften durch den Meridian, welcher von jeder der azorischen und kapverdischen Inseln 100 Leguas westlichen Abstand habe, und sprach die westliche Hälfte Spanien, die östliche Portugal zu. Umsonst protestierte Portugal und suchte sein Kolonialmonopol zu retten. Da Spanien mit Ge

walt seine Ansprüche zu verteidigen sich entschlossen zeigte, mußte König Johann II., der es auf einen Krieg nicht ankommen lassen wollte, sich fügen. Im Vertrage vom 7. Juni 1494 verständigte er sich mit Spanien über die Teilung. Nur wählte man anstelle des vom Papst gewählten Meridians denjenigen, welcher 370 Leguas westlich von den Kapverden verläuft. Die genauere Feststellung der Linie wurde einer besondern Kommission vorbehalten.

Zur Niedersetzung der Kommission ist es nicht gekommen, vielleicht weil das vorliegende geographische Material nicht ausreichte, um schon damals die endgültige Teilung der Welt vorzunehmen. Die Folge waren weitere Schwierigkeiten. 1521 tauchte die von MAGELLAN veranlaßte spanische Expedition in den Philippinen und Molukken auf und nahm sie für Spanien in Besitz. Portugal erhob dagegen Einspruch und suchte die Molukken gewaltsam wiederzuerobern. Um den Streit zu schlichten, einigten sich beide Mächte auf Berufung eines Schiedsgerichts. Der Versuch scheiterte, da mangels zuverlässiger astronomischer Beobachtungen die wahre Lage der Molukken nicht zu ermitteln war. Die Angelegenheit wurde schließlich 1529 in der Weise beigelegt, daß Spanien gegen Zahlung von 350 000 Dukaten auf die Inseln verzichtete. Ebenfalls streitig blieb der Verlauf der Grenzen der beiderseitigen Interessensphären in Südamerika. Schon 1508 begannen die Meinungsverschiedenheiten darüber, als Spanien im Norden Südamerikas Forschungsexpeditionen unternahm. Aufs neue lebten sie auf, als gegen Mitte des Jahrhunderts Spanien die Kolonisation Argentiniens begann, und sie wurden sehr lebhaft im 18. Jahrhundert.

Eine Anerkennung der päpstlichen Verfügung über die neue Welt und der portugiesisch-spanischen Abmachungen durch die andern Mächte ist nicht erfolgt. Das katholische Frankreich erhob vielmehr schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts Einspruch dagegen. Als Portugal und Spanien unter Berufung auf die päpstlichen Bullen das Verbot aller überseeischen Unternehmungen in Paris forderten, bestritt König Franz I. ganz entschieden die Auffassung, daß es genüge, Länder durch Proklamationen zu annektieren, um sie für andere Staaten zu sperren. Er soll ironisch gefragt haben, auf welchen Artikel von ADAMS Testament Spanien und Portugal ihre Ansprüche betreffs der neuen Welt gründeten. Als die diplomatischen Vorstellungen nichts fruchteten, griffen die Portugiesen zur Gewalt. Sie fingen die französischen Schiffe ab, zerstörten die französischen Faktoreien und marterten die Besatzungen zu Tode. Die französischen Seefahrer zahlten diese Gewalttaten mit gleicher Münze heim, während König Franz fortgesetzt Schadenersatz in Lissabon verlangte. Erst in den 30er Jahren führten politische Rücksichten zu einer Einstellung der Feindseligkeiten. Eine französisch - portugiesische Kommission wurde mit der Vorprüfung der Schadenersatzansprüche betraut,

und eine Zeitlang verbot Frankreich seinen Untertanen Fahrten nach portugiesischen Besitzungen. Durchgeführt wurde die Anordnung nur lau. Fortgesetzt haben französische Schiffe Fahrten nach Westafrika und besonders nach Brasilien ausgeführt. Hier wurde sogar 1555 durch VILLEGAIGNON, eines Schützlings des Admirals COLIGNY, ein wirklicher Ansiedelungsversuch an der Bai von Rio de Janeiro unternommen. Portugal rüstete gegen diese französische Kolonie 1560 ein Geschwader und machte ihr während der nächsten Jahre gewaltsam ein Ende. Die Energie und Macht, welche Portugal damals entfaltete, scheinen Frankreich die Lust, es weiterhin in seinem Besitze zu stören, genommen zu haben. Dafür begannen englische Seefahrer zu jener Zeit immer häufiger die portugiesischen Besitzungen in Westafrika und Brasilien heimzusuchen. Die Lissaboner Regierung erhob hiergegen in London Vorstellungen, indem sie ihre Ansprüche auf Afrika, Asien und Brasilien mit dem Rechte der ersten Entdeckung und den Entscheidungen des Papstes begründete. HEINRICH VIII. wie ELISABETH wiesen diesen Einspruch Portugals jedoch unbedingt ab. Wie FRANZ I. erklärten sie, nur Gebiete, wo Portugal wirkliche Herrschaft ausübe, als ihm gehörig anerkennen zu wollen, und verlangten eine Liste dieser Örtlichkeiten. Der Gewalt, welche Portugal gegen englische Schiffer und Kaufleute übte, setzten sie ebensolche entgegen. Von 1562 an begannen englische Unternehmer mit Hilfe ihrer Regierung einen regelmäßigen Sklavenhandel in Westafrika, und als Portugal sich dagegen energisch zur Wehr setzte, unternahm eine englische von HAWKINS geleitete Flotte einen Kriegszug gegen die Portugiesen. Bei der damals erheblichen Seemacht Portugals hatte indessen die englische Handelswelt von dem Streit mehr Schaden als Nutzen. Auf ihre Klagen hin trat daher England mit Portugal in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts in Verhandlungen. Es verlangte die Erlaubnis für den Verkehr mit Westafrika und Brasilien, wofür es sich bereit erklärte, seinen Seefahrern den Besuch Ostindiens zu verbieten. Als das den Portugiesen nicht genügte, erbot sich England, seinen Untertanen auch den Besuch Afrikas mit Ausnahme von Marokko, Madeira und den Azoren zu untersagen, und schloß auf dieser Grundlage 1572 mit König Sebastian einen Vertrag. Da Spanien hiergegen protestierte, wagte der portugiesische König schließlich das Abkommen nicht zu bestätigen. Er verlangte, daß England auch auf den Verkehr mit Marokko verzichtete. Die Lage blieb ungeklärt bis 1576, bis Elisabeth sich Portugals Wünschen fügte. Doch dachten ihre Untertanen nicht an ernstliche Beobachtung des Vertrags. Sie setzten ihre Fahrten nach Afrika und Brasilien fort. Schon 1577 verständigte sich England mit der eingeborenen Regierung Marokkos wegen des Rechts zum Betriebe des Handels, und in denselben Jahren rüstete es sich zur Anknüpfung von Beziehungen mit Indien. Nach der Vereinigung der Krone Portu

gals mit der Spaniens ließ England die letzten Rücksichten fallen und setzte sich ohne weiteres in Afrika wie in Indien fest. Von da an sah Portugal sich für die Wahrung seiner Rechtstitel ausschließlich auf seine Kraft zur See angewiesen. Es hat lange Jahrzehnte hindurch mit England und Holland insbesondere ringen müssen, um nur einen Teil des einst von ihm in Anspruch genommenen Weltreichs zu retten. heute noch besitzt, hat es sich durch Verträge mit den Nachbarmächten zu sichern gesucht.

2. Auch Spanien hat den Besitz über See, welchen es sich vom Papst hatte zusprechen lassen, zunächst gegen Frankreich zu verteidigen gehabt. Nach dem Mißerfolge in Brasilien richteten nämlich französische Seefahrer ihre Blicke auf die weiten Küstenstriche des von Spanien in Anspruch genommenen, aber nicht besetzten nördlichen Amerikas. 1562 unternahm eine französische Expedition die Anlage einer Niederlassung an der Küste Floridas. Spanien erhob hiergegen in Paris Vorstellungen. Als diese fruchtlos blieben, rüstete es sich zu gewaltsamen Maßregeln und vernichtete 1565, mitten im Frieden, in grausamster Weise die junge Ansiedelung. Den zu erwartenden Beschwerden Frankreichs kam es durch Klagen über die französischen Kolonisten und den Admiral COLIGNY, der das Unternehmen begünstigt hatte, zuvor. Das war aber dem französischen Hofe zu viel. KATHARINA VON MEDICI, die Mutter KARLS IX., bestritt sehr energisch das Recht Spaniens und hat dringend auf Bestrafung der Schuldigen und voller Genugtuung bestanden. Wenn sie von PHILIPP II. nichts erreichte und sich schließlich damit genügen lassen mußte, daß französische Seeleute auf eigene Faust Rache an den Spaniern nahmen, war das die Schuld der Bürgerkriege, welche damals Frankreich durchwühlten. Die von PHILIPP II. für die Niedermetzelung seiner Expedition in Florida geforderte Genugtuung ist nicht erfolgt. Nur wenige Jahre später haben französische Unternehmer, unbekümmert um Spaniens Einspruch, sich im Norden Amerikas festgesetzt und die Kolonisation Canadas begonnen. Von da aus hat Frankreich später, gleichfalls ohne Rücksicht auf Spanien, das Mississippital in Besitz genommen. Noch empfindlicher trafen Spanien die Ansiedelungsversuche, welche zu Anfang des 17. Jahrhunderts in dem von Spanien nicht allein entdeckten und erforschten, sondern auch in Verwaltung genommenen Westindien begannen. Umsonst hat der Madrider Hof durch diplomatische Vorstellungen und militärische Maßnahmen sich der Eindringlinge zu erwehren und sein Besitzrecht zur Anerkennung zu bringen gesucht. Die Franzosen kehrten sich an seine Rechtstitel so wenig wie die Engländer und Holländer und achteten nur solchen spanischen Besitz, der unter regelmäßiger Verwaltung stand.

Zur vollen Durchführung gebracht hat diesen Grundsatz auch Spanien gegenüber zuerst England. Seit seine Seeleute sich von der Schwäche

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