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Infolgedessen blieb die Bevölkerung seiner nordamerikanischen Besitzungen ziemlich gering. England und Holland öffneten dagegen ihre Kolonien den Protestanten und Sektierern aller Länder und erreichten damit eine rasche Ausdehnung der Besiedelung der neuen Länder. Während Französisch-Kanada gegen 1700 nur etwa 15000, Akadien (Nova Scotia) gegen 2300 Bewohner besaßen, zählten damals die englischen Besitzungen auf dem nordamerikanischen Festland schon 300 000 Seelen. Die englische Insel Barbados zählte schon 1684 an weißen Ansiedlern 20 000. Im Jahre 1709 wanderten nicht weniger als 13-14000 deutsche Pfälzer in Britisch-Amerika ein. Holland zog Auswanderer nicht nur nach seiner brasilianischen Kolonie und dem Kaplande, sondern auch nach Indien. Doch handelte es sich dabei immer nur um kleinere Ansiedlerscharen, welche meist aus Deutschland, Frankreich und anderen Staaten stammten.

Je mehr die englischen Ansiedelungen in Nordamerika sich entwickelten, um so lebhafter wurde ihr Bedürfnis nach vermehrter Einwanderung weißer Kolonisten und Arbeiter. Man befriedigte es durch emsige Anwerbung Auswanderungslustiger und freie Beförderung der Leute. Die erwachsenden Kosten mußten sie dann durch mehrjährige Arbeit abverdienen. Da aber die Nachfrage nach Arbeitern größer war als die Einwanderung, entstand bald ein wahrer Menschenhandel. Die Schiffskapitäne und Einwanderungsunternehmer versteigerten förmlich die kostenfrei angekommenen Ansiedler. Den Versteigerungspreis mußten diese dann auch noch abarbeiten. Diese Mißbräuche und die Klagen der englischen Industrie und Landwirtschaft über den Wegzug der Arbeiter führten dazu, daß schon 1686 die englische Regierung gegen die Anwerbung von Kontraktarbeitern zur Auswanderung einschritt. 1719, 1750 und 1782 verbot sie sogar die Auswanderung von Arbeitern überhaupt. Alle diese Verordnungen blieben freilich so fruchtlos wie die seit 1753 in Deutschland getroffenen Maßregeln und Verbote gegen die Auswanderung. Politischer und religiöser Druck trieben immer neue Scharen aus Deutschland nach Amerika. Die gesamte deutsche. Auswanderung im 18. Jahrhundert wird, allerdings auf Grund sehr zweifelhafter Angaben, auf 80-100000 Personen geschätzt. Während des Unabhängigkeitskrieges der Vereinigten Staaten und während der Revolutionsjahre ging die Auswanderung nach Amerika sehr zurück. Dafür begann damals aus Deutschland und England ein Abfluß der Bevölkerung nach Australien und Südafrika.

II.

Die Auswanderung im 19. Jahrhundert.

1. Grofsbritannien. Nach dem Erwerb so vieler neuer Kolonien während der Revolutionskriege gab England seinen ablehnenden Standpunkt der Auswanderung gegenüber auf und begann der Ausbeutung der sich selbst überlassenen Auswanderer durch Agenten und Schiffsreeder entgegenzutreten. 1803 wurde die erste Passengers Act zu diesem Zwecke erlassen, und ihr sind zahlreiche andere gefolgt. Es wurde dadurch die Zahl der Passagiere in jedem Schiff und ihre ausreichende Unterkunft, Verpflegung sowie die Sicherheit ihrer Person und ihres Eigentums geregelt und gewährleistet. Die Ausführung des Gesetzes leiteten die Zoll- und Hafenbehörden. 1826 und 1827, zur Zeit der industrieellen Krise, wurde die Auswanderung noch direkt durch Staatsunterstützung und Landzuweisung gefördert. 1830 gründete WAKEFIELD die Colonisation Society zur Leitung der Auswanderer nach bestimmten Gebieten und Erleichterung ihrer Ansiedelung. 1836 leitete diese Gesellschaft die Auswanderung nach Südaustralien, 1837 nach Neuseeland. Dazu unterstützte England von 1834 an mit Geldmitteln die Auswanderung von Armen. Von 1851-86 sind für 40 200 Arme in solcher Weise 153 000 Pfd. Sterl. aufgewendet worden. Später wurde auch die Auswanderung Armer aus Irland und Schottland von Staatswegen gefördert

Die Durchführung der Auswanderungsgesetze lag seit 1837 in den Händen des Agent General for emigration und der Board of Colonization Commissioners. Als die WAKEFIELDSche Unternehmung in Schwierigkeiten geriet, wurde ihre Leitung auch vom Staat übernommen und das ganze Auswanderungswesen 1840 dem Colonial land and emigration Board übertragen. Diese Behörde hatte nicht nur die Agenten und die Schiffe zu kontrollieren, sondern auch alle Nachrichten über die zur Ansiedlung geeigneten Gebiete, das verfügbare Land usw. zu sammeln. Die Auswanderung wurde hauptsächlich nach Australien, daneben nach Südafrika geleitet. Während in der Zeit von 1815-30 jährlich etwa 23 000, 1830-40 etwa 70000 Menschen England dauernd verließen, stieg ihre Zahl von 1841-50 jährlich auf durchschnittlich 160 000, 1851-60 sogar 470000; 1861-70 fiel sie auf 150000 im Jahresdurchschnitt. Im Jahre 1855 wurde dem Auswanderungsamt die Verwaltung der Koloniallandverkäufe entzogen, da die mit selbständigen Verfassungen ausgestatteten australischen Kolonien diese Angelegenheit selbst in die Hand nahmen. In den 60er Jahren wurde die Unterstützung der Auswanderung überhaupt fast gänzlich eingestellt und 1873 das Auswanderungsamt aufgehoben. Die Überwachung der Schiffe und Agenten wurde dem Board of trade übertragen, während das Kolonialamt Wünsche nach Auskunftserteilung befriedigen sollte. Die Überwachung der von

Gemeinden gelegentlich unterstützten Auswanderung kam an das Lokalregierungsamt.

Die Ausbeutung der Auswanderer durch Agenten, Reeder und Landspekulanten hat auch das Auswanderungsamt nicht völlig verhindern können. 1852, 1855 und 1863 sind verschärfte und verbesserte Passengers Acts ergangen, welche auch später noch Nachträge erfahren haben. Von 1855 an wurde die Konzessionierung und Kautionsstellung der Auswanderungsagenten eingeführt. In den Haupthäfen hat ferner das Handelsamt. Emigration - Officers zur Aufsicht über alle Auswanderungssachen angestellt. Das unbedingte Recht zur Auswanderung und Niederlassung in nichtbritischem Gebiet hat England eigentlich erst 1870 anerkannt, indem erst damals eine Bill den Engländern die Möglichkeit gab, ihre Staatsangehörigkeit abzulegen.

Die englische Auswanderung hat in der Zeit von 1871-80 etwa 160 000, 1881-90 etwa 120 000, 1894: 156 000, 1895: 185 300, 1900: 168 800, 1902: 205 700 Köpfe im Jahre betragen. Im ganzen sind von 1815-1902, ausschließlich der Ausländer, die ihren Weg über England nahmen, 16148900 Menschen von dort ausgewandert. Der bei weitem größte Teil der Leute hat sich nach den Vereinigten Staaten gewendet. Während der Zufluß nach Kanada und Australien in den letzten Jahren sich ziemlich gleich bleibt, ist der nach den Vereinigten Staaten trotz aller dort sich zeigenden Hindernisse ein immer wachsender gewesen.

Diesem Umstand ist es besonders zuzuschreiben, daß in neuerer Zeit in England sich wieder Bestrebungen regen, die Auswanderer systematisch mehr als bisher nach den eignen Kolonien zu leiten. Zu diesem Zweck entstand schon 1886 die National Association for promoting state-directed colonization, welche zusammen mit mehreren anderen Vereinen staatliche Leitung und Schutz für die Auswanderer befürwortete. Infolge ihrer Agitation und einer Anregung des Colonial Office wurde 1886 in London ein Emigrants Information Office errichtet, welches Nachrichten über Arbeiterbedarf und Ansiedelungsgelegenheiten in den Kolonien sammelt und Auswanderungslustigen die nötige Auskunft erteilt. Erfolglos blieb dagegen eine Anregung der Association, welche die Errichtung eines besondern Kolonisationsamts in London unter Beteiligung der verschiedenen Kolonien, die Beschaffung von Geldmitteln durch eine Anleihe, die Unterstützung der Ansiedler durch Geld und Land usw. bezweckte. Der Plan wurde von fast allen Kolonien, denen er zur Begutachtung vorgelegt wurde, abgelehnt.

Da die Bewegung in England, welche eine lebhaftere Tätigkeit des Staats zugunsten der Auswanderung bezweckte, aber fortdauerte, wurde die Angelegenheit 1889/90 zum Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung gemacht. Die Parlamentskommission empfahl nach eingehender Prüfung allen Materials, für England und Wales ein besonderes Aus

wanderungsamt zu errichten, wenn auch Maßnahmen zu besonderer Belebung und Förderung der Auswanderung in England nicht erforderlich seien. Das empfohlene Amt für England soll gleicher Art wie das seit. 1889 in Schottland bestehende Colonization Board sein, welches die Übersiedelung verarmter Bauern nach Kanada mit Erfolg vermittelte.

Die von der Kommission empfohlene Wirksamkeit übt jetzt das Information Office in weitem Umfange. Es hat seit 1891 in einer Reihe geeigneter Plätze Auskunftsstellen errichtet und bietet Auskünfte nicht nur über englische Kolonien, sondern auch über alle zur Ansiedelung geeigneten nichtenglischen Teile Amerikas. Neben der amtlichen Auskunftsstelle beschäftigen sich gegen 40 wohltätige Vereine und Anstalten mit der Beratung und Leitung von Auswanderungslustigen. Dazu haben mehrere Kolonien, in neuerer Zeit besonders Kanada und Südafrika, eigene Bureaus zur Anlockung von Auswanderungslustigen in England errichtet.

2. Deutschland. a. Preußen. Durch eine Verordnung von 1818 wurde die Vorschrift des Allgemeinen Landrechts, welches die Auswanderung ohne ausdrückliche Genehmigung der Behörden verbot, erneuert und näher ausgeführt. Eine Fürsorge für die Auswandererer bei der Auswanderung, auf der Reise oder im Auslande fand nicht statt. Bei der damaligen Schwäche Preußens, dem Mangel einer Flotte und der spärlichen Vertretung im Auslande war sie auch nicht gut möglich. Der Fortzug aus Preußen war übrigens bis zu Anfang der 40 er Jahre noch ziemlich gering. 1842 wurde nochmals daran erinnert, daß Auswanderung ohne besondere Genehmigung strafbar sei, aber gleichzeitig zum erstenmal bestimmt, daß diese Genehmigung im Frieden zu erteilen sei, falls es sich nicht um wehrpflichtige Männer handelte. Verschiedenen Unternehmungen zu Anfang der 40 er Jahre, welche die Ansiedelung von Deutschen in Texas, Mittelamerika, Brasilien bezweckten, trat die Regierung in keiner Weise in den Weg. Allerdings überließ sie aber auch alle Auswanderer, welche unterwegs oder am Bestimmungsorte aus irgend welchen Gründen in Not und Elend gerieten, erbarmungslos ihrem Schicksale und stellte sich schroff auf den Standpunkt, daß die aus dem Staatsverband entlassenen Leute Preußen nichts mehr angingen.

Erst 1845, als verschiedene der Auswanderungsunternehmungen sehr traurige Erfahrungen machten und bewiesen, daß sie kein Vertrauen verdienten, wurden die Verwaltungsbehörden zu scharfer Überwachung jener Vereine angewiesen und Warnungen erlassen. 1846 ordnete der Minister des Innern sogar die Verfolgung der Agenten des Texasvereins an. Aus Anlaß von schlechten Erfahrungen deutscher Ansiedler in Brasilien erklärte die preußische Regierung damals jede Verleitung zur Auswanderung für strafbar und weitere Fürsorge für ausgewanderte Untertanen für untunlich. Von diesem Standpunkt aus wurde damals auch die vor

geschlagene Konzessionierung aller Auswanderungsagenten und die Einforderung von Kautionen von ihnen für nicht angängig erklärt, da solche Schritte einer Förderung der Auswanderung gleichkämen! Diese Auffassung brachte Preußen 1847 auch im Frankfurter Handelstag zur Geltung.

Kurz vor Ausbruch der Revolution 1848 faßte König FRIEDRICH WILHELM in Verbindung mit seinen Bundesreformplänen eine weitherzigere Regelung der Angelegenheit ins Auge. Im Herbst desselben Jahres erwog Preußen, nachdem die Frage mehrfach im Frankfurter Parlament erörtert war, die Einziehung von Nachrichten über geeignete Ansiedlungsgebiete sowie die Unterstützung und den Schutz der Auswanderer. 1849 wurde nicht nur der Grundsatz der Frankfurter Reichsverfassung, daß die Auswanderungsfreiheit von Staats wegen nicht beschränkt werden dürfe und die Auswanderung unter dem Schutze und der Fürsorge des Reichs stehe, in den Entwurf der norddeutschen Unionsverfassung aufgenommen, sondern auch seitens der preußischen Regierung und im Abgeordnetenhaus Gesetzesvorschläge betr. Überwachung und Konzessionierung der Agenten und Schutz der Auswanderer vorgelegt. 1850 faßte man sogar ein eigenes Kolonisations- und Auswanderungsamt der norddeutschen Union ins Auge und zahlreiche Maßregeln zum Aufsuchen geeigneter Siedlungsgebiete und zum Schutz der Auswanderer. Dieser Plan fiel infolge der Vorgänge der allgemeinen Politik. 1853 wurde nur ein Gesetz zustande gebracht, welches die Konzessionierung der Auswanderungsagenten und die Erhebung von Kautionen einführte.

In der Folgezeit stand Preußen der Auswanderung, trotzdem sie einen größeren Umfang annahm, kühl gegenüber. Auf Drängen verschiedener Reisender und Privatleute, welche von der Lage deutscher Ansiedler in einzelnen Teilen Brasiliens ein sehr trübes Bild gewonnen hatten, wurde 1850 die Erteilung der Konzession an Auswanderungsunternehmer für Brasilien durch den Minister V. D. HEYDT verboten. Obwohl es sich bald herausstellte, daß die Verhältnisse der Kolonisten im Süden Brasiliens weit günstiger als in anderen Provinzen des Landes waren und gerade Südbrasilien für die deutsche Auswanderung ein aussichtsreiches Feld bot, hielt man das Verbot, welches den Wünschen weiter Kreise entsprach, aufrecht.

Erst als nach dem französischen Krieg die Auswanderung besonders aus den östlichen Provinzen stark zunahm und dort Mangel an ländlichen Arbeitern entstand, wurde der Angelegenheit wieder Aufmerksamkeit gewidmet. 1872 beschäftigte sich das Ministerium mit der Schäd lichkeit der Tätigkeit der Auswanderungsagenten; 1873 wurde die Frage im Abgeordnetenhause angeregt und infolge der Debatten die Ausweisung aller ausländischen Agenten und Werber verfügt. Weitere damals angestellte Erwägungen der Sachlage führten dazu, ein Auswanderungs

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