Page images
PDF
EPUB

keineswegs an den Mängeln einer Zwittergattung leiden, zu würdigen angefangen. find größtentheils Schnigaltäre, oft von überaus reicher Composition, Bilderschreine mit zierlichen architektonischen Einrahmungen und mit figürlichen Skulpturen ausgefüllt, die lezteren naturgemäß bemalt und, je nach den Bedingungen des Gegenstandes, vergoldet; die Flügel der Schreine gewöhnlich mit wirklichen Gemälden versehen. Jede einseitig illusorische Wirkung, die den Gesezen der Plastik widersprechen würde, ist bei der Art und Weise der Bemalung und der Anwendung des Goldes an diesen Schnigwerken fern gehalten. Solche Werke wurden in ganz Deutschland gefertigt; in Nürnberg besonders in den Werkstätten von Mich. Wohlgemuth und Veit Stoß. Auch in Norddeutschland wurde Die Kunstgattung vielfach geübt, wie es namentlich der Schnipaltar der Kirche von Tribsecs in Pommern, ein alterthümliches Werk voll zarter Idealität, ungefähr aus dem Anfang des 15. Jahrh., und die Werke des Hans Brüggemann, aus dem Anfange des 16. Jahrh., in Schleswig beweisen. In dieser Periode zeichnete sich Deutschland noch in zwei andere Kunstgattungen aus, dem Holzschnitt und dem Kupferstich, die es, wenn auch nicht erfun= den, wofür aber viel spricht, doch zuerst und am vielseitigsten ausgebildet hat. Der Holzschnitt wurde zu einer Zeit, in welcher die Italiener sich nur wenig mit ihr beschäftigten, in Deutschland schon mit großer Sicherheit geübt, besonders von Mart. Schön, und beide Kunstgattungen erhielten in der Nürnberger Schule, namentlich durch Albrecht Dürer die vollendetste Ausbildung.

In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrh. besaß Deutschland ausgezeichnete Meister, und wenn diese die hohe Classicität nicht erreichten, zu der sich in derselben Zeit die großen Maler und Bildner Italiens aufschwangen, so lag dies weniger an ihnen, als an der Richtung der Zeit, die in ihrer geistigen Entwicklung mehr der einseitigen Ausbildung des Gedankens als der Anschauung zugewendet war. Die kirchliche Reformation raubte auf geraume Zeit der Kunst in Deutschland den gedeihlichen Boden; sie verhielt sich meist nur passiv, nahm nur auf, was ihr aus der Fremde an zeitgemäßen Formen und Darstellungsweisen geboten wurde, und was in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. in Deutschland für die Kunst geleistet wurde, kann nur als eine kleine Nachblüthe gelten. Diese Leistungen beschränkten sich auf ein zierliches, zu allerhand ornamentistischen Dingen angewendetes Kunsthandwerk, wofür Augsburg die Hauptstätte war. Uebrigens fehlte es auch in dieser Zeit Deutschland nicht an vorzüglichen künstlerischen Talenten; nur gingen diese meist zu ausländischen Schulen über und werden gewöhnlich diesen zugezählt, z. B. Adrian von Ostade (s. d.), der berühmte Genremaler, aus Lübeck gebürtig, den man zu den Holländern zählt, und Pierre Rerimont oder Raymund, der ausgezeichnetste von den Emaillemalern von Limoges, dessen eigentlicher Name Pet. Rermann war, und der insgemein als Fran= zose gilt. Dieser Zustand dauerte das ganze 17. und die größere Zeit des 18. Jahrh. hindurch. Nur ein Künstler macht sich am Schlusse des 17. und im Anfange des 18. Jahrh. als vorzüglichen deutschen Meister geltend, Andr. Schlüter (s. d.) aus Danzig, der unter König Friedrich 1. von Preußen als Bildhauer und Baumeister thätig war. folgte zwar der franz.-ital. Geschmacksrichtung seiner Zeitgenossen, erhob sich aber über die legteren durch den ernsten Adel seines Gefühls, durch die Großartigkeit seiner Auffassung und durch die Treue seiner Durchbildung.

Fr

Erst in der spätern Zeit des 18. Jahrh. begann, gleichzeitig mit der neuen Blüthe der deutschen Literatur, ein neuer Aufschwung der deutschen Kunst. Er gab sich zunächst in zwei verschiedenen Richtungen kund, in dem sich auf der einen Seite der künstlerische Geist aus der franz. affectirten Weise wieder mehr der Natur, auf der andern Seite dem tiefern Studium der classischen Werke des Alterthums zuwandte. Die erstere Richtung wurde besonders durch Dan. Chodowiecki (s. d.) repräsentirt, dessen radirte Kupferblätter mit ihrer unübertrefflichen Naivetät das erste Zeugniß dieses nationell künstlerischen Aufschwungs geben. Unter Chodowiecki's Nachfolgern ist besonders Schadow (s. d.) zu nennen, dessen vorzüglichste Skulpturwerke, meist Porträtstatuen historisch ausgezeichneter Personen, ganz dieser Richtung angehören. Die Rückkehr zum gründlichen Studium der Kunst des Alter

thums begann, der Natur der Sache nach, zunächst in Italien; doch war es ein Deutscher, Joh. Winckelmann (f. d.), der große Reformator der Kunstwissenschaft, welcher da= selbst zuerst die hohe Bedeutung der Kunst entwickelte. Die Wirkung dieser Vestrebungen zeigte sich weniger bei seinen Zeitgenossen, die ihn nicht durchweg verstanden, um so mehr bei der folgenden Generation. Die Compositionen des Malers Carstens (s d.) sind von einer wahrhaft classischen Auffassung belebt und mit wunderbarer Formreinheit ausgeführt. Ihm schlossen sich Andere, besonders der nur zu früh verstorbene G. Schick (f. d.) an. Bei den übrigen Nationen folgten dieser Richtung der Italiener Canova, obgleich sich dieser nicht ganz von französirender Affectation frei erhalten konnte, mehr noch der große Dane V. Thorwaldsen, zwischen denen der Würtemberger Dannecker mitten inne stand, wenn auch dem Ganova näher verwandt als dem Leztern. Diese classische Kunstrichtung zieht sich bis in die neueste Zeit herab, wo Schinkel (f. d.) in Berlin ihr vorzüglichster Repräsentant war. Als Architekt bestrebte er sich, das Princip der modernen Architektur wieder auf seinen ursprünglichen Ausgangs- und Lebenspunkt, die reingriechische Form, zurückzuführen und doch dabei diese mit geistvoller Freiheit zu behandeln; als selb= ständig bildender Künstler wußte er der classischen Richtung noch einen weitern Inhalt zu geben, wie dies seine genialen Entwürfe für Frescomalereien in der Vorhalle des Verliner Museums beweisen. Daneben gaben sich wieder andere künstlerische Richtungen kund, die aber Alle troß ihrer Verschiedenheit den deutschen Charakter und den Ursprung der neuen Kunstbelebung, die Philosophie, nicht verläugnen konnten. Namentlich hatte die von den Brüdern Schlegel, Tieck, Novalis, Wackenrode erweckte romantische Poesie keinen geringen Einfluß auf die Kunst, indem hierdurch im Allgemeinen der Blick auf die Kunstwerke des Mittelalters gerichtet wurde, woraus sich denn von selbst die sogenannte romantische Kunstrichtung ergab, welche jene Kunsterzeugnisse als wichtige Förderungsmittel, ja als Vorbilder zu betrachten lehrte. Als einer der bedeutendsten Repräsentanten dieser Richtung ist Overbeck (s. d.) zu betrachten, der, in Rom verblieben, sich besonders in den Kreis der altitalienischen Kunst eingeschlossen hat. Andere Künstler, wie Cornelius (s. d.), Jul. Schnorr (f. d.), Heinr. Heß (s. d.) wandten sich mehr dem Studium des deutschen Mittelalters zu, und fanden in München, wo König Ludwig von Bayern die großartigsten und umfassendsten künstlerischen Werke veranlaßte, und wodurch dadurch verschiedene Gattungen der Kunsttechnik, namentlich die so lange vernachlässigte Glasmalerei von neuem mannichfache Ausbildung erhielten, ein reiches Feld der Thätigkeit. Die Eigenthümlichkeiten der Münchener Schule bildeten einzelne jüngere Künstler, z. B. Kaulbach (s. d.), zu freierer Selbständigkeit aus, während andere Meister der romantischen Richtung, wie Ph. Veit (s. d.) in Frankfurt am Main, ihre Vahn in isolirterer Stellung verfolgten oder neue Vahnen einschlugen. Die mehr reale Naturauffassung machte sich mit der Zeit auch wieder, besonders im Gegensah zu der romantischen Kunstschule geltend, die stets geneigt ist, das Kunstwerk als Symbol abhängig von dem Gedanken, nicht aber als untrenn= bar vereinigt mit dem Gedanken anzuschen. Dies geschah vorzugsweise in der Düsseldorfer Schule, die unter Schadow's Leitung schnell einen großen Reichthum von Talenten entwickelt hat. Als ihre vorzüglichsten Repräsentanten können, neben vielen Andern, K. F. Lessing (s. d.), A. Schrödter (s. d.), der große Humorist, und der Landschaftsmaler W. Schirmer (f. d.) genannt werden. Die Düsseldorfer Schule fucht mit Emsigkeit auf das Detail der Erscheinungen einzugehen und dieselben durch den Hauch subjectiver Empfindung poetisch zu verklären; sie ist aber dabei, wenigstens in der großen Mehrzahl ihrer Productionen, in eine einseitig elegische Sentimentalität verfallen, die mit der realen Kraft der Erscheinungen in entschiedenem Widerspruche steht. Auch in Berlin zeigte die Malerei einzelne Bestrebungen verwandter Richtung, wohin besonders die Werke von K. Begas (f. d.), sowie die höchst ausgezeichneten Landschaften des zu früh gestorbenen Blechen zu rechnen sind; in der Skulptur entwickelte sich durch Ch. Rauch (s. d.) namentlich die Behandlung der historischen Monumente zu hoher Läuterung jener älteren Bestrebungen. Werfen wir nun einen Blick auf die jüngste Gegenwart, so müssen wir die Ueberzeugung

aussprechen, daß die Kunst abermals einer Krisis entgegengeht. Die einseitigen Richtungen, in welche die Münchener und Düsseldorfer Schule immer mehr auseinander getreten waren, genügen nicht mehr; man verlangt nach einer künstlerischen Darstellungsweise, welche unser ganzes Dasein in der Fülle und Energie seiner Erscheinung und zugleich in dem geistigen Streben, welches die Gegenwart bewegt, auszudrücken im Stande sei. Die Architektur sucht nach denjenigen Formen, die, von aller Nachahmung frei, den Stempel unseres Gefühlsvermögens trage, die Malerei und Skulptur haben mehr oder weniger auch schon die Dämme der abgeschlossenen Schule durchbrochen, und wir dürfen euch wohl hier dem nationalen Aufschwung vertrauen, der in Deutschland neuerdings auf so erfreuliche Weise sichtbar geworden ist. Die Kunst steht nicht mehr im Dienste eines Ginzelnen, auch nicht mehr unter dem Gebote einer einzelnen Kaste, und wäre dies die alte Adelskaste, die früher dem Kunstgenius einen Brocken von ihrem Ueberflusse zuwarf, sondern sie steht mit dem Volke in Verbindung, sie hat sich dem Leben gewidmet. Wie die Wissenschaft befreit ist von der dumpfen Stubenluft, und aus dem wirren Studirzimmer hinausgetrieben ist, ins frische und bewegte Leben, so strebt auch die Kunst aus den Schranten der Selbstsucht hinaus in das lebendige Treiben des Volkes, und stellt sich unter den freien Himmel, von dem sie abstammt. Das wahre Licht für die Kunst ist die Sonne, in deren wärmenden Strahlen die Blumenknospen sich zu Blüthen entfalten. Die aufstrebende Kunst ist zu einer Angelegenheit der Gesellschaft geworden, und daß sie das wurde, daß sie aus der ideellen Geschlossenheit in die materielle Allgemeinheit überging, daß sie nicht mehr genöthigt war, von den scheinheiligen Seufzern der adligen Mystik zu leben, daß sie sich mit dem gesammten deutschen Volke in Rapport sezte, dies verdankt sie den Kunstvereinen (1. d.) und den damit verbundenen Kunstausstellungen. Die Bildung der Kunstvereine gehört ganz der neuesten Zeit an; sie sind mehr als ein Ersag für die Almosen, welche die Kunst in alter Zeit von der herrschenden Aristokratie empfing. Die mit den Vereinen verbundenen Kunstausstellungen sind die öffentlichen Gärten der Kunst, in welchen Jedermann lustwandeln und botanisiren kann; sie sind Bildungsschulen für den Geschmack des Publikums, gleichsam Ueberschwemmungen mit Gemälden und andern Kunstsachen zur Fruchtbarmachung des dürren Geschmacks und zur Verbesserung der ästhetischen Urtheile im Publikum; sie sind die Jahrmärkte der Kunst, welche allen neuen Productionen raschen und preiswürdigen Absaß gewähren, und dadurch, daß sie den Künstler von dem Kunstwucherer befreien, der vormals ihre Talente zu seiner Bereicherung ausbeutete, haben ste den Künstler unmittelbar mit dem Volke in Verbindung gebracht und ein Mittel geschaffen, den Wetteifer unter den Künstlern zu befördern, so daß die Ausstellungen als Wettrennen mit Pinsel und Meißel erscheinen, als öffentliche Kunstschauen mit Prämien zur Veredlung und mancherlei Anspornung zum Wetteifer. Die Kunstausstellungen sind endlich ein eigenthümliches Mittel zwischen Kirche und weltlichem Vergnügungsort, eine Art von Heiligthum, wo wir die Stimme dämpfen und eine gemeinschaftliche Weihe, die Nähe der Muse empfinden. Es gibt keine Zeit, in der die Kunst eine so allseitige Aufnahme gefunden hätte als in der unsrigen; die Kunstvereine sind über das gemeinsame deutsche Vaterland verbreitet, beinahe in jeder Stadt von 10,000 Einwohnern haben sich Kunstfreunde zu einer Association zusammengethan, die aus eigenen Mitteln die Erzeugnisse der Kunst dem Volke zur Anschauung vorführen, so daß man sagen darf, jedes neue Kunstwerk passirt alsbald nach seiner Vollendung sogleich die Nationalrevue. Mit den Vereinen sind endlich auch Kunstsammlungen verbunden, Museen werden angelegt, um die Werke der Kunst in öffentlichen Sammlungen auch der Nachwelt zu erhalten und sie vor der Zerstörung und dem Untergange in den Privatsammlungen zu schüßen. Dazu kommt noch die Chalkographie oder der Kupfer- und Stahlstich (s. Kupferstecherkunst), welche, obwohl sie auf den höheren Theil der Kunst, auf die Erfindung verzichten, dennoch sowohl auf die Kunst selbst als auf das Publikum sehr viel und mehr Einfluß äußern als in irgend einer früheren Zeit. Selbst die Lithographie und der Holz= schnitt haben hierbei keinen geringen Werth. Durch die Chalkographie und Lithographie

werden die Kunstwerke auf finnige Weise vervielfältigt und die Nation von dem Stande der Kunst, sowohl der einheimischen als der fremden, der alten wie der gegenwärtigen unterrichtet. Beide Künfte, vervollkommnet durch die neue Erfindung des Stahlftichs, find Vermittler zwischen dem Volke und der Kunst, sie machen dem Publikum Werke zugänglich, die sonst nur den Wohlhabendsten zur Anschauung geboten werden konnten. Von der Zeit müssen wir erwarten, welchen Einfluß die französische Erfindung des Daguerre (s. d.) und der Delbilderdruck, eine neue Erfindung des Deutschen Liepmann (s. d.) auf die Künfte in Deutschland gewinnen wird. Der deutsche Geist rastet nicht, seine Kräfte sind auf allen Gebieten des Könnens und des Wissens unermüdlich thätig; die deutsche Nation achtet nicht des Aufwandes, den die Erreichung eines großen Zieles nothwendig macht. Was den Aufwand des Volkes für die Kunst betrifft, so widerlegt dieser die Vorwürfe der misanthropischen Heuchler, welche meinen, die Gegenwart verwende ihre Reichthümer nur auf die Beförderung des Materialismus, auf Dampfmaschinen und Eisenbahnen u. dergl., die Kunst gehe aber ledig aus. Man werfe nur einen Blick auf die Verzeichnisse kleiner und großer Werke, die in den Ausstellungen abgesezt werden. In Berlin wurden in den beiden Ausstellungen von 1834 und 1836 für nicht weniger als nahe an 40,000 Thlr. Kunstwerke gekauft. Seit ihrer Entstehung haben die Kunstvereine in Deutschland dem Pinsel und Meißel mehr als eine Million zugeführt! Dergleichen Resultate find hinreichend, den Ausruf zu rechtfertigen, die Kunst lebt noch, sie lebt wahrhaft, denn sie ist nicht mehr eine Prärogative für Einzelne, ihr Genuß ist nicht gewiesen allein auf den Glerus, auf Prälaten und mystische und pietistische Adlige, sie ist nicht mehr gefesselt an die Launen großer Herren, sie dient nicht mehr dem abgeschmackten Geschmack in der Dunstluft der Höfe, sondern sie ist Gemeingut der Nation geworden, sie hat den Einigungspunkt mit dem wahren Leben wiedergefunden und darin den unerschöpflichen, ewigen Quell der Verjüngung. Die deutsche Kunst ist national geworden, fortan bildet sie ein lebendiges Element der volksgeschichtlichen Entwicklung.

=

Deutsche Literatur. In seinem Anfange und in seinem Verlaufe war der oben. geschilderte religiös politische Zwiespalt (s. Deutsche Kirche), der in unsern Tagen die deutsche Welt bewegt, ein wichtiges Ereigniß von großen Wirkungen für die Zukunft. Die deutsche Staats- und Kirchengewalt liegen nicht mehr indifferent neben einander, mit dem Anschein gegenseitiger Duldung, sondern sie sind beide zum Bewußtsein gelangt, und das Resultat muß sein, daß eins von beiden Prinzipien obstegt. Unüberwindlich ist die Macht der deutschen Wissenschaft, des deutschen Geistes; und da der Geist nur da sich in seiner ganzen Glorie entfaltet, wo ihm die Freiheit sich nach Vermögen und Gefallen auszubreiten, nicht entzogen wird, so ist kein Zweifel, auf welche Scite sich in dem gegenwärtigen Gährungsprocesse des deutschen Lebens der vollständige Sieg neigen werde. Deutschlands geistige Ausbildung ist zu weit vorgeschritten, seine eigentliche Nationalität hängt zu innig mit der wissenschaftlichen Thätigkeit, mit dem Protestantismus und allem, was daraus folgt, zusammen, als daß der Katholicismus des Papstes hoffen dürfte, dem deutschen Volke seine theuersten Güter wieder zu entreißen. Daß dieser beabsichtigte Raub auch in der Zukunft unmöglich werde, dafür hat das deutsche Volk durch Einrichtungen gesorgt, die vom Auslande stets als Muster gerühmt und nachgeahmt werden.

Da, wo das Prinzip der Wissenschaft, die Freiheit der Forschung ungeschmälert bleibt, in den protestantischen Staaten Deutschlands hat der Nationalunterricht eine Orga= nisation erhalten, in der jede Gegenwirkung der Reaction wie die leichte Woge an dem Felsen zerschellt. Es giebt beinahe kein Alter und keine Classe von Menschen und Berufsarten, wofür nicht in neuester Zeit Unterrichtsanstalten entweder reformirt oder neu begründet worden wären. Zwar herrscht auch auf dem Gebiete der Volkserziehung Zwiespalt zwischen dem Realismus oder Materialismus, der allen Unterricht und alle Erziehung auf die praktische Anwendbarkeit im unmittelbaren Leben bezieht, und dem Humanismus oder Idealismus, der nicht geleitet vom äußern Utilitätsprincipe, die freie Entwickelung des Menschen bezweckt und denselben als Ebenbild Gottes durch freie Entfal

tung seiner gesammten Kräfte vollkommen ausbilden will; aber abgesehen von diesem an fich demokratischen und aristokratischen Gegensatz in dem modernen Unterrichtswesen, hat sich Toch die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Bildung und die Wichtigkeit einer die verschiedensten Glassen der Staatsbevölkerung umfassenden Erziehung herausgestellt. Das allgemeine Streben nach innerer Freiheit und die damit verbundene Anerkennung der Macht des Geistes ist es, was die Zeit, seit dem großen Völkerkampfe gegen Napoleon, auszeichnet. Man erkannte, daß der Ruf nach bürgerlicher uud religiöser Freiheit ausarten und, wie in Frankreich, zügellos werden müsse, wenn er sich nicht auf dem Boden geläuterter Einsicht stüße. Die politischen Befreiungskriege waren demnach in Wahrheit Befreiungskriege da sich Deutschland nicht begnügte, den Feind aus den heimischen Grenzen hinaus geworfen zu haben, sondern da man auch das Innere von den Fesseln der Unwissenheit und des Aberglaubens zu befreien suchte. Das frühere Streben nach Bildung war in Deutschland ein mehr unbewußtes, instinktartiges; in unserer Zeit ist das Volk zum Bewußtsein innerer Bedürftigkeit gelangt; Unwissenheit und Bildungslosigkeit gelten jeht für entehrend, für Schande. Keine Zeit ist rühriger gewesen, als die unsere, die Resultate, die der Geist gewonnen hat, dem Volke zur Anschauung zu bringen und es zu den Genüssen empfänglich zu machen und einzuladen, die sonst nur Wenigen zugänglich waren. Wir erinnern nur an die vielartigen Schulanstalten, von denen unsere Väter nichts wußten, an die mannichfaltigen Vereine, Associationen, Musikfeste, Kunstausstellungen und an die großen Erfindungen und Entdeckungen, die täglich in fast jedem Theile der Wissenschaft gemacht, alsbald in das praktische Leben übergehen. Keine einzige der alten Schulen ist eingegangen, ihre Zahl hat sich aber verdoppelt und verdreifacht; nur Uraltes, Todtes, was mit dem Leben in keinem Zusammenhange mehr stand, ist in die Gruft gelegt, und auf dem Grabe des Beigesezten steht ein neues Gebäude, wohnlich und schön für die lebenden Menschenkinder. Wohl wagte sich die abgestandene Opposition der Vergangenheit und die in ihrem Innern. erstarkte Partei der Jesuiten und Pietisten einmal an die edelsten deutschen Institute, an die Universitäten, um durch deren Aufhebung oder gänzliche Verwandlung in pädagogische Sprechstuben mit einem Male die deutsche Bildung und den ganzen Kreis des Nationalunterrichts unter die Schulruthe und den Polizeistab zu bringen, aber der Versuch scheiterte an seinem eignen Wahnsinn und an der Allgewalt der deutschen Wissenschaftlichkeit. Ueberhaupt ist der deutsche Geist der Mittelpunkt, von dem aus die Welt bewegt wird. DeutschLand verdankt seinen Rang in Europa allein seiner wissenschaftlichen Superiorität. Hierin manifestirt sich die deutsche Nationaleinheit, ste ist eine rein ideelle, nicht von dieser Welt, in dem Reiche des Gedankens hat sie ihr Reich ihre Eroberungen und ihre Kronen. Nicht durch Zwang der Waffen, wie die meisten andern Staaten, nicht durch diplomatische Des markationslinien, sondern durch wissenschaftliche Erkenntniß ist Deutschland zur Nationaleinheit zusammengewachsen. Diese Concretion des nationalen Lebens liegt in unserer Literatur und Wissenschaft. Die Literatur ist die Blüthe der Wissenschaft, die Wissenschaft die Frucht der Reformation.,,Reformation, Wissenschaft und deutsche Literatur bezeichnen die verschiednen Perioden unsrer Nationalentwickelung." In dem Begriffe der Reformation liegt der Begriff der deutschen Wissenschaft; nur da, wo die Reformation siegend durchgedrungen ist, lebt die deutsche Wissenschaft in ihrer ganzen Fülle und Souveränetät. Mic überwältigender und gestaltender Macht hat sich die deutsche Geistestiefe in Philosophie, Poesie, Geschichte und Kunst aufgemacht, das irdische Leben von den Schlacken des Irrthums zu reinigen. Was der Deutsche in der Philosophie geleistet, wird für ewige Zeiten das herrlichste und unübertrefflichste Denkmal seiner intellectuellen Macht bleiben. In der Musik hat er der Welt das Reich der dunkelsten und geheimnißvollsten Gemüthsregionen aufgeschlossen und in der Kunst steht die deutsche Baukunft, das Centrum der bildenden Kunst, neben den schönsten Erzeugnissen der klassischen Völker. Hat die neueste Zeit nicht in allen einzelnen Theilen so Ausgezeichnetes geschaffen, daß es den ältern Productionen des deutschen Geistes gleich käme? ja es ist sogar in mancher Beziehung weniger gethan, als die vorausgegangenen Perioden erwarten ließen; dennoch hat das deutsche Volk seine gei

« PreviousContinue »