Page images
PDF
EPUB

bis zur Zehe; aus dem Leben, wie er es vor sich sah, hat er sie gegriffen. Da ist jeder Stand, jedes Alter und Geschlecht. Redlich und fest, schlicht und treu giebt sich ein jeder ganz wie er ist. Und nicht nur im Antlitz allein spricht sein Wesen sich aus, sondern auch in Körper, Haltung und Geberte. Die Gewänder gleiten nicht mehr in weichen Linien herab, sind nicht mehr, um Farbeneffecte hervorzubringen, dem Spiel des Zufalles überlassen, sondern bestreben sich, dem Charakter des Stoffes zu entsprechen und der Bewegung des Körpers zu folgen. Mönchskutte und einfaches Bürgerkleid, prächtiges Meßgewant, föniglicher Ornat und spiegelnde Rüstung, Alles ist tren bis in das Kleinste und Einzelne ausgebildet, während es sich dennech harmonisch dem Ganzen unterzuordnen versteht. Nicht nur von den Gestalten gilt dies, auch von ihrer Umgebung. Für den alterthümlichen Goldgrunt, welcher Alles in eine ideale Sphäre erhebt, ist die Zeit jest verüber. Mitten in das trauliche bürgerliche Gemach eder in die freie Natur sind die Vorgänge verickt. Ebenso wahr und so besonders wie die Personen ist jeder Halm und jedes Blättchen ausgebildet. In mildem Sonnenschein ruhen die hehen Waldesbäume, die moesbewachsenen Felsen und das fruchtbare Thal, mit dem breiten Silberstrem, der sich dazwischen entlangschlingt, den Städten Schlössern und Abteien, die da beweisen, wie gut sich hier wohnen läßt, und dem fernen Schneegebirge am Horizont.

Gegen diese Wahrheit und Treue tritt aber der geistige Gehalt nicht zurück, sondern effenbart sich in ungeahnter Großartigkeit. Vem höchsten religiösen Geiste ist das Ganze kurcherungen. Andacht hat Alles ergriffen; Andacht zicht durch die demüthig milden Frauengesichter, durch die erusten, bärtigen Männerköpfe hin; die kühne Jugend und das nachdenkliche, würdige Alter, das schöne Weib und der kräftige Mann stehen in gleich feierlicher Begeisterung da. Ueberall, selbst im stillen Frieden der Natur ist die Nähe Gettes zu spüren. Jeder ist sich ihrer bewußt, und ihrer Wirkung kann sich nichts entziehen; die kecke That hält inne, das Aufbrausen der Leidenschaften verstummt; ganz in das eigene Innere ziehen. sich Alle zurück, um dem Herrn es darzubringen, vor dem ein jedes Herz sich anbetend neigt. Diese Alles beseelende Andacht verleiht der Kunst des Hubert van Eyck ihren hohen und eigenthümlichen Charakter, während sie ihr zugleich die Grenze steckt. Sie bringt es mit sich, daß zum wahrhaft vollendeten Kunststyl ihm Eines, aber auch nur das Eine, die wirkliche Handlung, fehlt. So tritt der Meister uns in seinem Hauptwerk ent

Hubert van Eyck und seine Nachfolger.

17

gegen, das zwar erst sechs Jahre nach seinem 1426 erfolgten Tode durch ten jüngeren Bruder Jan van Eyck vollendet wurde, aber doch wohl dem älteren Bruder nicht nur in Geist und Erfindung, sondern zum großen Theil auch in der Ausführung angehört, dem berühmten „Genter Altar“, ven dem sechs beiderseits bemalte Flügel bekanntlich in einer Deutschen Galerie, dem Berliner Museum, zu finden sind.

Wie nun Hubert van Eyck in seiner Kunst auf einen ganz anderen Auseruck dringt, als je seine Vorgänger nur ahnten, so läßt er sich auch an dem alten künstlerischen Ausdrucksmittel nicht mehr genügen. Gebrauch der Delfarben war in der Malerei zwar längst bekannt, Hubert aber war der Erste, der sie wirklich nußbar zu machen und für Arbeiten höherer Art zu verwenden verstand. Nur diese neue Technik befähigte ihn, künstlerisch so sehr in die Tiefe zu gehen, das Kleinste und Besondere mit so liebevoller Sorgfalt und doch so eng dem Ganzen verwoben zu schildern, se sehr aus jedem Zuge das frische, volle Leben hervorleuchten zu lassen.

Ueber alle Lande dringt nun auch sein Ruhm und noch mehr fast der seines Bruders, welcher sein Erbe war. Nicht blos von den Niederlanden selbst, auch von Deutschland und Italien ziehen die Maler, um bei ihm zu lernen, herbei. Und dennoch war die Kluft zwischen Hubert und seinen Vorgängern kaum größer, als die Kluft zwischen ihm und seinen Nachfolgern ist. Von diesen erreichte keiner den Gründer der Schule an Genialität, Tiefsinn und Großartigkeit des Styles. Selbst Jan van Eyck, wie bedeutend er auch als Maler war, wie viel häufiger als Hubert er auch von Zeitgenossen und Nachwelt genannt ward, ist auch nicht im entferntesten mit dem älteren Bruder zu vergleichen. Ihm fehlt jener Abel der Figuren, jene Größe des Auftretens, selbst jener naturgemäße Wurf der Falten, welcher eckigen, scharfen und kleinlichen Brüchen weicht. Seine Stärke liegt einerseits in der genauen bildnißartigen Auffassung, andererseits in zarter und vollendeter Ausführung des Einzelnen. Das Kleinste und Unscheinbarste weiß er zu belauschen und mit besonderem Reize zu umkleiden; seine Gaben sind Beobachtung und Fleiß. Große Verhältnisse braucht er eben so wenig als große Gedanken. Im kleinsten Kaum, beim einfachsten, bescheidensten Motiv zeigt er seine Vollendung am meisten, und bringt in miniaturartiger Ausführung wahre kleine Wunderwerke zu Stande. Von der ersten Generation unter den Schülern rer Brüder stehen allerdings mehrere dem Hubert van Evck fast näher als dem Zan, so Dirk Stuerbout, so Rogier van der Weyden, der Beltmann, Holbein und seine Zeit.

2

von ihnen Allen den weitestgreifenden Einfluß hat. Aber auch er bleibt zurück an Größe und Geschmack. Sein Realismus ist schärfer und tritt nicht selten der Schönheit zu nahe. Aus dem gewöhnlichen und alltäglichen Leben schöpft er noch entschiedener. Größere rebendigkeit wird ihm daher im Austruck wie in der Farbe eigen; in der Handlung noch nicht; hier ist noch immer das stille, friedliche Element überwiegent. Toch nicht aus der Andacht geht es herver, sondern aus einer gewissen gut bürgerlichen Gemüthlichkeit. Aber gerade dieser Zug macht Rogiers Kunst so verständlich, so populär und schafft ihr überall Eingang.

Dennoch fehlt jest Eines, der wirkliche Fortschritt. Hubert van Eyck hatte die Kunst auf eine Höhe gebracht, welche von der ganzen damaligen Italienischen Malerei auch nicht im entferntesten erreicht ward. Während aber diese das Versäumte bald nachholt und rüstig von Stufe zu Stufe steigt, scheinen Huberts Deutsche und Niederländische Nachfolger sich innerhalb der Grenzen, die er gezogen, wie im Kreise zu bewegen. In mancher Beziehung ist es fast, als wären seine Hauptschöpfungen gar nichts wirklich Vorhandenes und bereits Geleistetes, als wären sie nur eine Fata Morgana, das täuschende Traumbild eines noch weit entfernten Zieles. Die Nachfolger hatten erst mit dem zu kämpfen, was der seiner Zeit veraneilende Genius ohne Schwierigkeiten überwunden hatte. Auf ein frisches Erfassen des Wirklichen, auf volle Turcheringung der Natur gingen auch sie aus, aber es wurte ihnen schwer, tie rechte Natur zu finden.

Das hat seinen Grund in denselben Verhältnissen, welche der nordischen Kunst überhaupt einen so harten Stand bereiteten. Nachdem die Welt Jahrhunderte lang der Natur entfrembet werden war, brauchte sie erst Zeit und höchste Anstrengung der Kraft, um sich wieder zur Natur zurecht zu finden; dies um so mehr, als das gothische System, das Erzeugniß jener naturfeindlichen Anschauung, immer noch, wenngleich entartet, in der Baukunst fertbestand, und selbst auf Plastik und Malerei seinen Gegendruck ausübte. Unter solchen Reactionen, die sich besonders in Deutschland fortwährent erneuerten, kam es cahin, daß bald unter Einwirkung des alten Geistes das Natürliche verkümmert, bald unter einseitiger Betonung des neuen bis in das Uebertriebene, Harte und Rehe gesteigert ward. Wie aber überall, wo kein rechter Fortschritt ist, das Leben bald abstirbt, so auch hier. Leere conventionelle Manier, angelerntes, band. werksmäßiges Wesen reißen ein. Dürer und Holbein sind es erst, welche

Holbein und Hubert van Eyck. Realismus in Deutschland.

19

vie Deutsche Kunst daraus wieder emporheben. Das bildet ihr hohes Bertienst, bildet aber auch die Schwierigkeit ihrer Stellung, und bringt es mit sich, daß sie erst da am Beginn stehen, wo in Italien bereits die Vollendung erreicht ist. Dürer selbst hat noch mit dieser gothischen Reaction bis an das Ziel seiner Laufbahn zu kämpfen; Holbein allein weiß sich gleich anfangs davon frei zu machen. Er betritt erst wieder ganz die Bahn, welche Hubert van Eyck eingeschlagen, und ist, natürlich in der veränderten Weise, welche die Fortschritte der Zeit erheischen, als dessen wahrer Nachfolger anzusehen. In ihm gelangt der germanische Realismus zur höchstmöglichen Vollendung nach allen Richtungen hin; er weiß aber durch Studium und Geschmack gleichzeitig die Vermittlung mit dem Kunstgeist Italiens zu finden, wo Ideales und Reales nie in einen so starken Gegensatz getreten waren, sondern nach dem Muster des classischen Alterthums sich gegen einander abwogen und harmonisch veridmelzen.

In Deutschland, und vornehmlich in Schwaben, mit dem wir besenters zu thun haben, sind von der Hinneigung zum Realismus schon frübzeitig Spuren da. In diesem Gau, wo die Lust am Bauen hinter der Lust am Bilden zurückzubleiben scheint*), finden wir bereits vom Jahre 1431 ein Werk wie den Magdalenenaltar in der Kirche zu Tiefenbrenn, welcher mit dem dünnen, flüchtigen Farbenauftrag und der vorherrschenden milden Innigkeit und Zartheit der gothischen Malerei, wie wir sie bei Meister Wilhelm kennen gelernt, eine so eigenthümliche Frische rer Naturauffassung, eine solche Belauschung des Wirklichen in Bewegung and Haltung, eine solche Gemüthlichkeit in der Schilderung des Alltäglifen verbindet, daß uns dies in so früher Zeit überraschen muß. Niederlineiiche Einwirkungen sind wohl damals kaum anzunehmen, besonders nicht in diesen entfernten Süddeutschen Gegenden, zumal da sich in der Inschrift als Meister ein „Lucas Moser Maler von Wil," dem unbereutenten Reichstädtchen Weil, nennt. Auch schon dadurch zeigt sich der Künstler vom Geist einer neuen Zeit ergriffen, daß er seinen Namen anaicht und bereits künstlerisches Selbstgefühl hat, was bei den gleichzeitigen Miner Malern noch nicht der Fall ist, die in handwerksmäßiger Bescheidenbeit ganz ihre Persönlichkeit hinter ihren Werken verschwinden lassen.

*) Bergl. die Ansführungen in Schnaase's Kunstgeschichte, Band VI, S. 300.

von ihnen Allen den weitestgreifenden Einfluß hat. Aber auch er bleibt zurück an Größe und Geschmack. Sein Realismus ist schärfer und tritt nicht selten der Schönheit zu nahe. Aus dem gewöhnlichen und alltäglichen Leben schöpft er noch entschiedener. Größere Lebendigkeit wird ihm. daher im Austruck wie in der Farbe eigen; in der Handlung noch nicht; hier ist noch immer das stille, friedliche Element überwiegent. Doch nicht aus der Andacht geht es hervor, sondern aus einer gewissen gut bürgerlichen Gemüthlichkeit. Aber gerade dieser Zug macht Rogiers Kunst so verständlich, so populär und schafft ihr überall Eingang.

Dennoch fehlt jetzt Eines, der wirkliche Fortschritt. Hubert van Eyck hatte die Kunst auf eine Höhe gebracht, welche von der ganzen damaligen Italienischen Malerei auch nicht im entferntesten erreicht ward. Während aber diese das Versäumte bald nachholt und rüstig von Stufe zu Stufe steigt, scheinen Huberts Deutsche und Niederländische Nachfolger sich innerhalb der Grenzen, die er gezogen, wie im Kreise zu bewegen. In mancher Beziehung ist es fast, als wären seine Hauptschöpfungen gar nichts wirklich Vorhandenes und bereits Geleistetes, als wären sie nur eine Fata Morgana, das täuschende Traumbild eines noch weit entfernten Zieles. Tie Nachfolger hatten erst mit dem zu kämpfen, was der seiner Zeit veraneilende Genius ohne Schwierigkeiten überwunden hatte. Auf ein frisches Erfassen des Wirklichen, auf volle Durchdringung der Natur gingen auch sie aus, aber es wurde ihnen schwer, die rechte Natur zu finden.

Das hat seinen Grund in denselben Verhältnissen, welche der nordischen Kunst überhaupt einen so harten Standt bereiteten. Nachdem die Welt Jahrhunderte lang der Natur entfrembet worden war, brauchte sie erst Zeit und höchste Anstrengung der Kraft, um sich wieder zur Natur zurecht zu finden; dies um so mehr, als das gothische System, das Erzeugniß jener naturfeindlichen Anschauung, immer noch, wenngleich entartet, in der Baukunst fertbestand, und selbst auf Plastik und Malerei seinen Gegendruck ausübte. Unter solchen Reactionen, die sich besonders in Deutschland fortwährend erneuerten, fam es dahin, daß bald unter Einwirkung des alten Geistes das Natürliche verkümmert, bald unter einseitiger Betonung des neuen bis in das Uebertriebene, Harte und Rohe gesteigert ward. Wie aber überall, wo kein rechter Fortschritt ist, das Leben bald abstirbt, so auch hier. Leere conventionelle Manier, angelerntes, handwerksmäßiges Wesen reißen ein. Dürer und Holbein sind es erst, welche

« PreviousContinue »