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Auch das Gebiet der Aesthetik ist nicht nur transscendental ideal, sondern zugleich und eben desswegen empirisch real. Die ästhetische Realität, ist aber, trotzdem zu ihrer Hervorbringung neben den sittlichen Realitäten auch „Natur" erforderlich ist, keine phänomenale, sondern eine rein noumenale. Denn wie jede noumenale Realität hat sie die Idee der Zweckmässigkeit zu ihrer Grundlage: Das Verhältnis, welches alle Bewusstseinsarten eingehen, um das Novum des ästhetischen Gefühls hervorzubringen, muss ein zweckmässiges sein und solche Gebilde der Kunst hervorbringen, denen formale uninteressierte Zweckmässigkeit zukommt.') Sogar die Naturschönheit ist nach Cohen nichts als eine Art formaler Zweckmässigkeit, und das unmittelbare intellectuelle Interesse an der Schönheit der Natur bezieht sich auf gar nichts anderes, als auf die ästhetische Gesetzmässigkeit überhaupt, welche wir als die einer formalen Zweckmässigkeit kennen.")

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Der noumenale Charakter der ästhetischen Realität kommt auch zur Geltung in ihrer Bedeutung als Aufgabe, die immer wieder gestellt und gelöst werden muss, eine Aufgabe, welcher die Idee der Menschheit zu Grunde liegt. Die „Ideen-Aufgabe" der Aesthetik besteht, nach Cohen in Folgendem: „im Gefühl soll sich die Menschheit zur Eintracht und Harmonie reinigen und einigen können." 3) Schon Herder wusste, dass die Kunst eine Offenbarung der Idee der Menschheit sei. Die kulturelle Bedeutung der Kunst, die ,,das Selbstbewusstsein der Menschheit" darstellt,) besteht darin, die Gefühle des Einzelnen zum Gefühle der Menschheit zusammenfliessen zu lassen. Die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechtes" mittels der Weltlitteratur beziehungsweise -Kunst hat ihre höchste Aufgabe darin, den Gegensatz der Völker zu einander aufzuheben und aus dem Bewusstsein der Individuen und der Völker das Bewusstsein der Menschheit zu formen, den Streit der Meinungen und der Begierden in dem Gefühle des Schönen zu schlichten." 5)

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1) Die Gesetzlichkeit des aesth. Bewusstseins ist die Zweckmässigkeit des Verhältnisses welches das Gefühl darstellt. H. C., Kants Begr. d. Aesth., S. 396. Vergl. S. 215.

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ib., S. 276. 3) ib., S. 216. ) ib., S. 217. ) ib., S. 418, vergl. 212, 221, 425 u. a.

Viertes Kapitel.

Das System des transscendentalen Idealismus.

1.

Die erkenntniskritische Analyse der mathematischen und beschreibenden Naturwissenschaften, sowie die der Ethik und der Aesthetik, hat uns auf eine Anzahl transscendentaler Elemente des Bewusstseins geführt, in denen diese drei Hauptrichtungen der Kultur ihre apriorische Grundlage haben. Mit der Aufdeckung dieser Elemente ist aber die Aufgabe der transscendentalen Philosophic keineswegs gelöst. Die transscendentale Analyse hat mir die Bausteine zu Tage gefördert, welche die Transscendentalphilosophie zu ihrem Bau verwendet. Um aus den aufgedeckten Elementen eine Philosophie zu gestalten, muss man, dem eigentlich philosophischen Triebe, dem Streben nach einem System der Weltanschauung, gehorchend, 1) die Bausteine architektonisch zu einem philosophischen System aufeinanderfügen. Zu diesem systematischen Zwecke haben wir nunmehr zu zeigen, wie die Kulturgebiete gemeinsam im Bewusstsein entspringen, wie sie als Erzeugnisse ursprünglicher und eigentümlicher Bewusstseinsrichtungen sich entfalten, und haben ausserdem den Gedanken ins Auge zu fassen: dass diese eigenthümlichen Richtungen in ihrer Eigenthümlichkeit nicht zu vollem Auswuchs gelangen, wenn sie nicht zur gegenseitigen Ergänzung sich zusammenschliessen." 2) Die bisher aufgedeckten erkenntnistheoretischen Prinzipien der einzelnen Kulturgebiete bilden nur deren Fundamente, unter diesen Fundamenten aber befindet sich noch der gemeinsame „Grund und Boden", auf dem Alles steht; und haben wir auch bereits die Rechtfertigung der Kulturgebiete in ihren fundamentalen Prinzipien gefunden,

1) Vergl. H. C., Kants Begr. d. Aesth., S. 26.

2) H. C., Kants Begr. d. Aesth., S. 342.

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so haben wir immer noch, die Rechtfertigung eben dieser Prinzipien ,,in dem Nachweis ihres Zusammenhanges in und auf dem Grund und Boden, aus welchem alle Arten und Richtungen der Kultur erwachsen“, zu suchen. ')

Dieser allgemeine Grund und Boden, der allgemeine Quell, aus dem Wissenschaft, Sittlichkeit und Kunst entspringen, ist (wir kennen ihn schon) das Bewusstsein. Das System der Philosophie, in welchem die prinzipiell verschiedenen Erzeugnisse der Kultur auf ihr gemeinschaftliches Prinzip, das des allgemeinen Bewusstseins, aus dem sie hervorgegangen sind, zurückgeführt werden, ist somit ein System des Geistes."

Selbstverständlich muss dieses allgemeine Bewusstsein nicht als der psychologische Herd oder Thatbestand der seelischen Vorgänge" sondern als „der Inbegriff der Ursprünge und Erzeugungspunkte", als „das gesammte Ressort", in welchem alle seine Richtungen entspringen, aufgefasst werden. 2) Und diese Richtungen selbst sind nur bestimmte „Inhaltsgruppen" 3) innerhalb des allgemeinen Bewusstseins, Glieder in seinem Systeme, ') „, Provinzen des Geistes." 5)

Bei der Ableitung dieser Glieder aus dem Bewusstsein verlässt nun Cohen die eigentliche Domäne der Erkenntniskritik, die es nur mit der Abschätzung der apriorischen Elemente nach ihrem Geltungswerte in den Kulturgebieten zu thun hat, und betritt den Weg der psychogenetischen Konstruktion, auf welchem er sich aber nicht durch aposteriorische Ergebnisse der empirisch-psychologischen Forschung leiten lässt, sondern durch deduktive Hypothesen, die es ermöglichen sollen, die Genesis der Bewusstseinsrichtungen aufzudecken.

Von diesem Bestreben geleitet, erkennt Cohen an, dass das theoretische, das moralische und das ästhetische Bewusstsein, trotz ihrer Selbständigkeit und ihrer spezifischen Verschiedenheit, sich erst im Fortschritt der Kultur aus dem allgemeinen Bewusstsein herausgebildet haben, in welchem sie anfangs eingeschlossen waren. 6) 1) H. C., Kants Begr. d. Aesth., S. 2. Ferner auf S. 3: « Den gemeinsamen Boden aller Fundamente stellt das System der kritischen Philosophie dar. »

H. C., Kants Begr. d. Aesth., S. 342 u. 343.

3) ib., S. 88.

') ib., S. 89.

5) ib., S. 34.

) Vergl. ib., S. 304.

Die Grundrichtungen des Bewusstseins sind erst allmählich so geworden, wie sie sich als kulturschaffende Richtungen des Bewusstseins repräsentieren. Anfangs ist das theoretische Bewusstsein nur ein vorstellendes, mit den Empfindungen anhebendes. Daneben giebt es aber eine andere Richtung des Bewusstseins, die das reine Wollen begründet, und von Cohen „Bewegungsbewusstsein" genannt wird. Die Einführung dieser Art von Bewusstsein gehört zu seinen von Kant unabhängigen philosophischen Schöpfungen. Dieses bewegende Bewusstsein ist ein „Übersichhinausdrängen", eine „StrebBewegung des Bewusstseins", und von ihm gehen die innervierenden Erregungen aus, welche die Muskelbewegungen erzeugen.') (Somit finden auch die Reflexbewegungen ihre transscendentale Grundlage.) Diese neue Bewusstseinsart darf nicht mit der dem empirischen Psychologen wohlbekannten Bewegungsvorstellung, in welcher die moderne Psychologie den Innervierungsquell der Muskelbewegungen erblickt, verwechselt werden. Was wir als Bewusstsein der Bewegung einführen möchten", sagt Cohen „das ist eine vom Bewusstsein des Denkens unterschiedene, und doch als Bewusstsein festzuhaltende Art und Richtung, welche nicht zur Vorstellung bringt, wie Bewegung früher schon ausgeführt wurde, und wie sie daher auch jetzt und künftig auszuführen sei; sondern welche vielmehr die Richtung und Tendenz in das Vorwärts und Hinaus selbst beschreibt, die alsdann durch die Nerven und Muskeln ausgeführt werden mag."2)

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Das bezeichnende und Neue dieser Bewusstseinsart liegt darin, „dass das Bewusstsein diesen Fortgang, dieses Übersichhinausdrängen, diese Projection in ein Jenseits des Bewusstseins vollführt.")

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1) Wenngleich die Streb-Bewegung des Bewusstseins nicht gleichbedeutend sein kann und darf mit der materiellen Bewegung, so ist doch, obschon freilich als eine besondere, nämlich seelische Art, die Bewegung als eine Art des Bewusstseins damit anerkannt. (H. C., Kants Begr. d. Aesth., S. 242.) Der Ursprung der Muskelbewegung liegt in dem Bewusstsein, von dem die innervierenden Erregungen ausgehen. Und so geht die ganze Bewegung auf das Bewusstsein zurück, welches mit der Thätigkeit der Nerven die der Muskeln zu verantworten hat. (S. 243, Kants Begr. d. Aesth.)

2) H. C., Kants Begr. d. Aesth., S. 244.

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$) ib., S. 245. Man darf dieses Problem, fügt Cohen hinzu« nicht abschwächen zu dem allgemeinen, dass Bewegungen vorgestellt werden. Wie können sie überhaupt im Bewusstsein vollzogen werden? Das ist die Frage. Das Bewusstsein selbst vollzieht sie wirklich, nicht erst die Armbewegung.

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Hebt das Bewusstsein der Vorstellung mit der Empfindung an, so beginnt das Bewegungsbewusstsein mit den „Triebbewegungen."1) Diesen beiden Bewusstseinsarten gesellt sich als dritte anfängliche Bewusstseinsrichtung, das Fühlen hinzu, welches, wie wir im vorigen Kapitel bereits erwähnt haben, nichts ist als das Bewusstsein davon ,, dass Bewusstsein von Statten geht." Dieses Fühlen begleitet die beiden anderen Bewusstseinsarten bis hinauf zu ihren höchsten Ausbildungen im freien Denken und im autonomen Wollen. Daraus sind die höheren „Denkgefühle" und sittlichen Gefühle abzuleiten. An sich aber hat weder die wissenschaftliche Erkenntnis, noch die Sittlichkeit irgend welche Gefühlsmomente.2)

Das Bewusstsein der Vorstellung, das der Bewegung und das des Fühlens sind somit die Urelemente, aus denen das theoretische Denken, das sittliche Wollen und das ästhetische Gefühl entstehen. Nun glaube man aber nicht, dass irgend eines dieser Urelemente sich unabhängig von den anderen zu der hohen Stufe einer Kulturgebiete bildenden Richtung emporarbeiten könne. Im Gegenteil; der Grundgedanke Cohens geht dahin, zu zeigen, dass die Bewusstseinsrichtungen, welche die Kulturgebiete erzeugen, erst aus dem Zusammenwirken der Urelemente entstehen. So muss das Bewusstsein der Vorstellung auf das der Bewegung einwirken, damit Zwecke entstehen können, welche das Wollen bestimmen. „Die Bewegungen", sagt Cohen „auf welche das Bewusstsein der Bewegung sich richtet, müssen als Vorstellungen in Begriffen fixirt werden, und die jenen. Bewegungen entsprechenden Begriffe sind die Zwecke, auf welche das Wollen nicht lediglich als Begierde, sondern zugleich als Denken sich richten kann. In den Zwecken verbindet sich das Bewusstsein der Bewegung mit dem Bewusstsein der Vorstellung".3)

Ebenso ist das Denken ein Produkt der Zusammenwirkung von Bewegungs- und Vorstellungsbewusstsein. Das Bewegungsbewusstsein muss auf das der Vorstellung einwirken, damit wir in Worten, d. h. überhaupt, denken können. „Das Bewusstsein der Bewegung," sagt Cohen „greift in die Entwicklung des Bewusstseins der Vorstellung förderlich ein, weil das Bewusstsein des Denkens an Begriffsworte

1) H. C., Kants Begr. d. Aesth., S. 246.

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*) Das Mitleid ist ein solches Willensgefühl, welches das sittliche Wollen begleiten, aber niemals motiviren, daher schlechterdings nicht charakterisiren kann. ib., S. 248.

') ib., S. 247.

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